Produktionszeitraum: Jul. 1999 bis Dez. 2001 | Veröffentlicht im September 2006 auf time out of mind records | Format: CD

1       I.Satz                                             18:13

Gegenwart – Jahrhundertwende – Güterzug

 

2       II.Satz                                            12:18

Ultrachronos – E-Dur, Donnerstag

 

3       III.Satz                                           20:28

Kopf gegen Wand – Baisse –Der erste Schnee –

Entropie – Seance – Gegenwart plus 1

 

 

 

composed & produced by harald blüchel, 1999-2001

published by cosmic enterprises music & publishing GmbH

mastered by wolfgang ragwitz

graphics: rainer schleßelmann

TOOM 101, August 2006

 

 

 

ANMERKUNGEN:

 

 

Transformation (1999-2005)

 

1

 

Wenn eigene Wünsche, Vorstellungen und Fähigkeiten mit nicht bestimmbaren Faktoren korellieren,

die ich mit „zur rechten Zeit am rechten Ort“ umschreiben würde, dann spricht man im allgemeinen von „Erfolg“.  Nur ein (wenn auch sehr vielschichtiger) Aspekt dieses seltsamen Begriffes hat sich dabei für mich als brauchbar erwiesen: aus der Erfahrung der Anerkennung die Möglichkeit zu haben, den Grad der eigenen Unabhängigkeit Stück für Stück weiter voranzutreiben.

Das hiess für mich künstlerisch: Rückzug ins „Kammermusikalische“, weg vom „grossen Lauten“  hin zum „kleineren Stillen“, zur Intimität,  zur Frage nach der Identität ( im Gegensatz zur Stilisierung/Inszenierung ). Leiser, weniger grossspurig, dafür differenzierter, skeptischer, mehrdimensionaler, folglich polarisierender und ungefälliger. Zerlegung des grossen Gestus in seine komplizierteren Einzelteile. Der grosse Wunsch, irgendwann an den Punkt zu kommen, an dem die Zusammensetzung der Einzelteile ein komplexeres Ganzes darzustellen vermag. Nicht über-verkopft, aber erst recht ohne  Simplifizierung / Stilisierung / Konfektionierung ( und damit Ent-Wertung zur marktkompatiblen Ver-Wertung) des Resultats.

 

2
aus: Partituren und Interpretation, Tagebuch 05.mai.2005

 

„Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“. Es hat mich immer eher befremdet, wenn irgendein DJ oder „Künstler“ davon plapperte, gestern „schnell einen Track gemacht zu haben“ ( er, oder der Toningenieur im Hintergrund ?) und der Zeitgeist diese musikalische Unbedarftheit sogar als „Errungenschaft“ bejubelte ( bis dann der selbe Zeitgeist auf Grund einer maßlosen Gleichheit , Beliebigkeit und Menge der Machwerke das gesamte Kind mit dem Bade ausschüttete – weil nichts mehr von der Substanz übrig geblieben war). Von Markt und „Berühmt/Gefragt-und Erfolgreich-sein-Wollen gesteuerte Dilettanten in der Musik-, Medien- und Bewusstseinsindustrie : Musik wird immer unanstrengender, beliebiger, austauschbarer, sowohl was die Produktion, als auch ihre Konsumierung anbelangt. Heraus kommt eine Masse an Gleichheit, die anödet und ständig nach „Neuem“, aber bitteschön wieder schnell und leicht zu verdauendem/vermarktbarem Material schreit. Dann jagen sie alle nach dem „nächsten grossen Ding“, Haltbarkeitsdatum unter 3 Monaten; das Marketing wird`s schon machen …Doch Komplexität und Ausdruck, individuelle Kreativität und Erfindungsreichtum haben mit „Können“ zu tun, dass man sich in mühsamen Prozessen erarbeiten muss. Das klingt „alt“ in den Ohren und Köpfen der Geschmacksverstärker – doch mangels eigener Möglichkeiten haben sie gar keine andere Wahl, als so zu denken, wie sie es tun. Denn nur dies haben sie gelernt im wunderbaren Hier und Heute der Spassmaximierung – hinter der immer die GEWINNMAXIMIERUNG steckt: „Handeln“ im kapitalistischen, nicht im ethisch – philosophischen Sinne des Wortes.

 

Über die „Zauberberg-Trilogie“

 

 

„Popmusik“ muss auf Grund ihrer Komprimiertheit inhaltlich und stilistisch selbstredend eher eindimensional bleiben, sie lebt von dem Prinzip der Wiederholung (ein-) geübter Hörgewohnheiten.  Die Jahre 1999 bis 2003 waren künstlerisch von dem Wunsch geprägt, Musik  zu machen, die vielschichtigere Strukturen zu transportieren vermag; Musik, die  sich nicht per se an der Vorgabe orientieren muss, sich möglichst mühelos und sofort in die Ohren der Hörerinnen und Hörer hineinzuschmeicheln.

Erster Schritt war die Suche und Erprobung neuer Arbeitsweisen hinsichtlich Komposition und Klangerzeugung. In diesem Prozess bewegte ich mich von der  Synthie / MIDI-Technik ( die in der vorliegenden „Toteninsel“ streckenweise noch eingesetzt wurde ) hin zur  elektro-akustischen Klangforschung: die Untersuchung, Bearbeitung und Veränderung natürlicher Klänge gab mir die Möglichkeit, bisher noch „unerhörte“ Klangszenarien arrangieren zu können. So begann auf der einen Seite mein Interesse an der Untersuchung des Geräuschs als gleichberechtigtem Klang, auf der anderen Seite eine neue Hinwendung zu den  klassischen Musikinstrumenten.

 

Diese Schaffensperiode der Neuorientierung soll mit der „Zauberberg-Trilogie“ dokumentiert werden. „Zauberberg“ als Bild für einen Ort, der räumlich und gedanklich getrennt ist von der Alltagswelt und seinen Funktionsmustern und Funktionsgeboten. Der durch seine Distanz „abgehobene“  Positionen, Blicke und Einstellungen ermöglichen kann.

Seit Jahr und Tag interessiert mich der immer wieder erlebte Widerspruch / Konflikt zwischen dem, was wir “denken zu sein“ und dem, was wir  in unserer inneren Realität ( die unser Handeln unterbewusst bestimmt ),“ wirklich sind“.

Ich wollte musikalische Formen finden, die die Auseinandersetzung mit  den existentiellen Fragen  „Was ist der Mensch ?”, „Wie fühlt der Mensch ?”, „Wie erlebt der Mensch ?“, „Warum denkt der Mensch so wie er denkt ?“  klanglich übersetzen können.

Inspirativer Kern ist die Denktradition der Romantik ( im besonderen Hölderlin – Robert Schumann – Caspar-David Friedrich ) zeitlich flankiert, hinterfragt und aufgehoben durch Heinrich von Kleist bzw. Karl Marx  und Sigmund Freud.

 

Der Teil eins gibt Aufschluss über den Startpunkt auf der Suche hin zu einer zukünftigen Klangsprache, die sich am ehesten mit dem Begriff „Hörstück“ definieren lassen könnte. Sie stellt sich in der „Toteninsel“ noch sehr heterogen dar: das musikalische Material ist die Bestandsaufnahme einer ganzen Reihe von erprobten Klang-, Kompositions- und Produktionstechniken, die wie Mosaiksteinchen im Collageverfahren zu einem Hörbild zusammensetzt wurden.

Die Kompositionen, deren Aufnahmen, ihre dramaturgische Organisation und Realisation in drei musikalischen Hauptsätzen entstanden in der Zeit zwischen Juli 1999 und Dezember 2001. Im Mai und Juni 2005 erfolgte ein kritisches Durchhören mit kleinen Korrekturen in der Gliederung und Mischung  einzelner Parts. Strukturelle Veränderungen, neue Einspielungen oder klangliche Neubearbeitungen fanden nicht mehr statt: die Authentizität des Originalmaterials als Zeitdokument sollte unbedingt erhalten bleiben.

 

 

 

Inhaltliche Aspekte

 

 

1
aus: Tagebucheintrag vom  25.November.2005 „Über das Verhältnis Autobiografie und Umwelt in der Kunst“

 

„Die Toteninsel“ geht auf meine „autobiografische“ Faszination dem bekannten Gemälde gegenüber zurück. Dieses Bild „tut etwas mit mir“, es versetzt mich in eine schwierig mit Worten beschreibbare Stimmung, es führt mich in eine absolut spezielle Welt. Ich unterstelle, dass es den meisten Menschen, die dieses Bild betrachteten, auf Ihre Art genau so ging, geht und gehen wird. Dabei ist es sicher sehr interessant, die „autobiografischen“ Motive des Malers zu kennen, doch beweist die Tatsache, dass –selbst, wenn ich diese Motive kenne- dies meiner eigenen Vorstellung, die mir das Bild gibt, keinerlei Grenzen setzt. Es ist in meinem Kopf „mein“ Bild und im Kopf des nächsten Betrachters „sein“ Bild. Wenn Kunst das schafft, dann ist es für mich „Kunst“ und nicht nur ein „Kunstprodukt“.  

 

 

 

 

 

2

Booklettext

 

 

I

 

Der Maler Arnold Böcklin (1827-1901)erhielt 1880 von einer jungen Witwe den Auftrag für „ein Bild zum Träumen“. Seiner Auftraggeberin schrieb Böcklin in einem Brief im gleichen Jahr, „das Bild müsse so still werden, das man erschrickt, wenn an die Tür gepocht wird“. Die erste Version des Bildes hieß dementsprechend „Stille“, die vier folgenden Versionen erhielten den Titel „Die Toteninsel“.

 

 

 

II

 

Eine Reise auf spiegelglatter See, Hinüberrudern in eine andere Welt, die so faszinierend schön, wie bedrohlich unbekannt ist.

 

 

 

III

 

Meine Empfindung bei Betrachtung des Gemäldes übersteigt in überwältigendem Masse das, was ich sehe. „Die Toteninsel“ bewegt meine Phantasie. Die kreative Auseinandersetzung findet seinen Ausdruck in einem musikalischen Entwurf, der zweifellos als Fragment im klassisch – romantischen Sinne betrachtet werden darf. Sein Grundmotiv ist das Nachdenken über die Relation von „Zeit und Gedanke“.

 

 

IV

 

Über das Denken: „Im Gedanken leben alle Möglichkeiten des persönlichen Entwurfs gleichberechtigt nebeneinander. Im Gedanken ist nicht  zu unterscheiden, zwischen dem, was Wirklichkeit geworden und was Traum geblieben ist“(Helmut Krausser, „UC“). Alles jemals Erwogene, Gewünschte, Vermiedene ist faktisch, wie auch die Unterschiede zwischen eigenen Erlebnissen, Erkenntnissen und Erfahrungen mit denen „aus zweiter Hand“ (Filme, Bücher, Interpretationen) verwischen, so dass sowohl die Kriterien „passiert“ und „gewünscht“, „eigen“ und „von aussen“, als auch die Zeiteinteilung in „Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft“ in der Gedankensphäre aufgehoben werden.

 

V

 

Über die Zeit: Es ist anzunehmen, dass einer Eintagsfliege ihre Lebenszeit ebenso hinreichend intensiv und lang vorkommt, wie uns die Eigene. Eine Schnecke hat ihre Langsamkeits- und Schnelligkeitskriterien, wie das jede andere Lebensform in ihrer Lebenswelt hat. Es gibt, nach diesen einfachen Beispielen zu folgern,  keine objektiven Zeit-Kriterien. Zeit ist relativ, also eine subjektive Grösse.

Die Wahrnehmung eines für das menschliche Ohr kurzen Tones, beispielsweise  eines Singvogels, wird bei technischer Verlangsamung zu einer vieltaktigen, hochkomplexen Melodiefolge. Und hätte beispielsweise ein Tischtennisspieler die Fähigkeit, seine Wahrnehmung eines Ballwechsels auf Zeitlupenniveau zu verlangsamen, stände ihm deutlich mehr Zeit zur Verfügung, sich richtig zum entgegenkommenden Ball  stellen zu können. Beobachtete Zeit würde sich also ausdehnen.

 

VI

 

Mein musikalischer Entwurf der „Toteninsel“ versucht, diese Gedanken näher unter die Lupe zu nehmen: stellen wir uns eine Person vor, die eine Zigarette raucht. Während sie einen Zug nimmt, durchfluten Gedanken ihren Kopf, geschichtet und parallel. Das Ich dieser Person wird sich maximal die Spitze dieser Assoziationen bewusst machen, wird höchstens ein Leitmotiv, eine Hauptstimme aus der Gesamtpartitur ihres Echtzeitgedankenflusses extrahieren können. Hätte diese Person nun die Möglichkeit, die Zeit zu verlangsamen, so könnte sie tiefer in das, was wir „das Unterbewusste“ nennen, hinabtauchen. Sie könnte mehr über ihre innere, eigene Welt erfahren, und müsste folglich ein anderes Verhältnis zu sich selbst und der äusseren Welt erhalten – wie immer dieses aussehen  und welche Konsequenzen das auf ihre „Synchronisationsfähigkeit“ mit der Umwelt haben würde.  Sie würde sich auf eine interessante Reise machen: in einem Boot auf spiegelglatter See hin zu einer unbekannten Insel. Versuchen wir, die Zeit einen Augenblick zu dehnen, von drei Sekunden auf etwa fünfzig Minuten…

 

 

 

 

 

Textmaterialien in der Komposition

 

 

 

gegenwart

 

 

 

 

 

wir sehen sie vor uns

diese männer

unrasiert, ungewaschen,

das gesicht schwarz unter dem stahlhelm,

das gewehr fest an sich gewandt,

die handgranate im stiefelschaft steckend,

fünf gestalten springen über eine kreuzung und

erreichen die nächste strassenzeile.

der kampf geht weiter

 

 

die waggontüren waren von aussen verschlossen

man hatte die riegelung geöffnet.

sofort wie wir ausgestiegen sind

ist vor unseren augen ein

fürchterliches bild.

an den geleisen vis-a-vis

stand ein verlassener zug

und vor dem zug, vor den waggonen

hunderte und tausende von reisegepäcken

aufeinander gestapelt.

 

gegenwart

 

 

 

 

 

und sagte denen also:

„kleidet euch aus, ihr werdet

geduscht und desinfiziert“.

an diesem gang

lagen dann verschiedene kammern,

ohne jede einrichtung,

kahl, nackt, zementfussboden.

auffällig und zunächst

unerklärlich war nur,

dass in der mitte ein vergitterter schacht stand,

der bis zur decke führte.

es hatte zunächst keine erklärung.

es sagte,

dass eine öffnung vom dach aus,

gas

und zwar in kristalliner form,

das zyklon b …

bis zu diesem moment

war also der häftling

völlig ahnungslos

und dann war es

natürlich zu spät

 

 

 

 

„die gehen baden,

in einer stunde werden sie sich wieder sehen“.

da schrie ich

nach meiner frau und

nach meinen kindern –

auf ungarisch nach und

bin wieder zu meiner gruppe

zurück gegangen.

nie habe ich sie mehr gesehen

 

 

 

gegenwart

 

 

 

stürzt ab

sinken

deutlich sinken

so tief wie noch nie

noch sehr viel schlimmer noch

dort ging es ebenfalls steil abwärts

siemens

infineon

die aktie gelb

dort stürzten die Papiere

telekom-aktien kamen noch schlechter weg

ein schnäppchen machen

 

 

 

der erste schnee

 

 

 

fun

 

success

 

freedom

 

power

 

safety

 

adventure

 

sex appeal

 

happyness

 

comfort

 

progress

 

 

 

 

 

 

Gegenwart

 

 

 

KRITIKEN:

 

HARALD BLÜCHEL − eine schillernde Persönlichkeit. Hier einige wesentliche Fakten: Geboren 1963 in Nürnberg, Hochbegabtenstipendium (das hat er mit mir gemein ;-), Hörspielproduktionen, Teilnehmer an der ersten Love Parade, 1991 das Auftauchen seines Alter Egos COSMIC BABY, Riesenerfolge unter diesem Künstlernamen (der „Messias des Techno“, 1999 letzter internationaler CB-Live Auftritt vor 10000 Besuchern in Tampa, Auslandsaufenthalte, 2004 VÖ einer Zusammenarbeit mit SCHILLERs van Deylen („Bi Polar“). Und das ist nur eine ganz kurze Rundreise durch die Vita des Deutschen, den ich bislang zugegebenermaßen nicht so im Fokus hatte. Warum jetzt also HARALD BLÜCHEL im Terrorverlag? Weil er mit seiner neuesten Produktion andere Wege geht, die ihn äußerst interessant für elektronische Avantgarde Hörer macht. Seine ursprüngliche Intention: Weg von den billigen in wenigen Stunden erstellen Tracks, hin zu persönlicheren/ intensiveren Klängen. „Zerlegung des grossen Gestus in seine komplizierteren Einzelteile. Der grosse Wunsch, irgendwann an den Punkt zu kommen, an dem die Zusammensetzung der Einzelteile ein komplexeres Ganzes darzustellen vermag.“ Dieses durchaus intellektuelle Zitat könnte ebenso von MARTIN STEINEBACH oder diversen Cold Meat Künstlern stammen, und so weit entfernt ist der klangliche Output dann auch nicht. „Die Toteninsel“stellt dabei den ersten Teil der sogenannten „Zauberberg-Trilogie“dar, über deren Hintergründe das auskunftsreiche Booklet detailliert informiert. Der Titel „Die Toteninsel“nimmt wiederum Bezug auf ein berühmtes Gemälde. Hierzu ebenfalls ein paar erhellende Sätze aus Sekundärquellen: „Der Schweizer Maler Arnold Böcklin (1827-1901) erhielt 1880 von einer jungen Witwe den Auftrag für „ein Bild zum Träumen“ Seiner Auftraggeberin schrieb Böcklin in einem Brief im gleichen Jahr, „das Bild müsse so still werden, das man erschrickt, wenn an die Tür gepocht wird“ Die erste Version des Bildes hieß dementsprechend „Stille“ die vier folgenden Versionen erhielten den Titel „Die Toteninsel“. Mithin also ein eher melancholisch depressives Thema, wie ist das ganze nun musikalisch illustriert worden? Zunächst als 51 minütiges Hörstück in abgegrenzten Unterparts. 1. Satz: Die „Gegenwart“vertraut auf Ambient-Klänge, wie man sie von entsprechenden Genrekünstlern kennt, während die „Jahrhundertwende“auf Streicher-artige weiträumige Melodiebögen und Flächen setzt. Der „Güterzug“− ganz seinem Namen verpflichtet − bietet uns den Lärm der industriellen Revolution in all ihren Facetten an, dazwischen ein paar Sprachfetzen. Homogen ist anders, aber man muss hier auch den experimentellen Charakter der 1999 bis 2001 entstandenen Kompositionen miteinbeziehen. Blüchel ist hier noch ein Suchender, der sich fasziniert von neuen Klangwelten an unterschiedlichsten Ausdrucksformen versucht. 2. Satz: SCHILLER-Fragmente bei „Ultrachronos“ ein Piano-Zwischenspiel bei „E-Dur, Donnerstag“ 3. Satz: „Kopf gegen die Wand“ Leichte Industrialanklänge illustrieren diesen nicht gesundheitsfördernden Vorgang. „Baisse− Sprache im Sinkflug mit Harfen-Erlösung. „Der erste Schnee“ Perlende Soundflocken im 80er Gewand (FALTERMEYER lässt grüßen). „Entropie“ sowie „Seance“ Typische SCHILLER-Sequenzen, die ersten „richtigen“Songs des Silberlings inklusive Percussion – sehr gefällig. Zum Abschluss die „Gegenwart plus 1“(also die Zukunft?!)… die düstere Klammer zum Beginn, die Stille erreicht den Raum und der Reisende die Toteninsel. Sicher ein ambitioniertes Werk, zu dem nicht alle Zugang haben werden, zu heterogen sind die elektronischen Landschaften ausgefallen. Wenn man aber die Prämisse der experimentellen Klangcollage in Verbindung mit dem Motiv des stillen Gemäldes akzeptiert, kann ein erstaunlich interessantes „Kopf“ino in Gang gesetzt werden, am besten ungestört unter dem „Kopf“örer. Für Freunde von Ambient bis hin zu sphärischem Noise eine spannende Entdeckung, alle anderen werden eher zu den just erschienenen Neuauflagen des COSMIC BABY-Back Katalogs greifen…

Karsten Thurau, Terrorverlag (26.09.2006)

 

 

Für Hedonisten, die Harald „Cosmic Baby“ Blüchel mit seinen legendären Tech-Trance- Produktionen oder seiner Zusammenarbeit mit Schillers Christopher von Deylen assoziieren, ist sein erster Solo-Release seit 1999 eine kalte Dusche − und das nicht wegen des nassen Elements auf dem Cover, eine Variation von Arnold Böcklins Gemälde „Die Toteninsel“ (1880 – 83). Mit dem in drei „Sätze“ gegliederten elektronischen Hörstück − eine vage dem Dark- Ambient-Genre zuzurechnende Komposition, deren philosophischen/kunsthistorischen Background Blüchel im Booklet erläutert − kehrt der nun auch schon 40-Jährige in gewisser Hinsicht zu seinen Anfängen als studierter Tonschöpfer und Klassik-fan zurück. Kein Beat hier, der Raver-Bedürfnisse bedient; es ffließt ein breiter Strom aus dunklen Klangflächen, spätromantischen Piano-Motiven und mysteriösen Vokal-samples. Uneasy-Listening-Freunde kommen auf ihre Kosten.

Albrecht Piltz, Keys 12/2006

 

 

 

So düster der Titel auch klingen mag, so angenehm ist die Hörerfahrung. Was sich auf „Stunde Null“ (1996) bereits andeutete, formuliert der vormals als Cosmic Baby bekannte und in letzter Zeit mit Christopher von Deylen (Schiller) kooperierende Musiker endlich zuende. Er nähert sich aus den fest gefügten Strukturen von Beat einem formal freien Konzept von Klang, einem „Hörstück“, wie er es nennt. In den drei durchschnittlich 17minütigen Movements erschafft er ein wortloses Hörspiel, welches sich zwischen „Ambient“ von Brian Eno, dem „Chill Out“ von KLF und dem „Waiting for Cousteau“ von Jean Michel Jarre bewegt, und dann einfach einen Schritt weiter geht. Musik für die Gegenwart ±1

Frank Hilpert, Freshguide 12/06

 

 

Ein Brocken. Noch dazu ein großer. Naheliegend, dass das nicht leichtverdaulich ist. Wer von Harald Blüchel nur seine Trancemeilensteine als Cosmic Baby oder Energy 52 kennt, wird überrascht sein ob der sehr minimalen Hörstückkompositionen auf dieser Trilogie. Es geht in Bezugnahme auf Thomas Manns berühmten Roman „Der Zauberberg“ um Entfremdung und den daraus neugewonnenen Blickwinkel auf eine Welt, in der man nicht mehr involviert ist. Blüchels erster Teil greift das Motiv der „Toteninsel“ auf, einer berühmten Gemäldeserie von Arnold Böcklin und versucht eine flächige Umsetzung in elektronische Musik. Bis zu zwanzigminütige soundtrackhafte Stücke entfalten schleichend ihre Wirkung. Der unheilschwangere erste Satz (Termini der klassischen Musik sind hier durchaus sinnvoll) enthält einige Zitate aus den Ausschwitzprozessen. Wie gesagt, nicht gerade Easy Listening. Zweiter und dritter Satz sind wesentlich freundlicher, aber immer noch entrückte Musik, die Deinen Kopf fordert.

Hauke Schlichting, Raveline 2/07