

Produktionszeitraum: November 1997 bis Januar 1999 I Veröffentlicht im Dezember 2006 auf time out of mind-records I Format: CD I Downloadveröffentlichung: Juni 2007 / time out of mind-records
1 experienced coincidences 5:45
2 kleine eisenbahn fährt ins wunderland 4:26
3 brigade der zeitroboter 5:48
4 maschinengeschichten I 2:48
5 die reise durch den süden 3:33
6 im aquarium 6:43
7 industrie & melodie 4:36
8 ostkreuz 2:03
9 spieltanz – triadisches ballet 4:44
10 schlecht geschlafen 2:18
11 wolfgang pauli im experimentallabor 5:16
12 Maschinengeschichten II 1:28
13 sowjetunion 3:37
14 kleine feine traumschleife 4:55
composed & produced by cosmic baby, 1998 -1999.
mastered by wolfgang ragwitz.
published by cosmic enterprises music & publishing gmbh.
graphics: rainer schleßelmann
ÜBER „INDUSTRIE & MELODIE“
I
„Rotes Quadrat auf Schwarzem Grund“
In der Rückbesinnung und Neuverarbeitung des kulturellen Erbes vornehmlich in Deutschland entstandener elektronischer Musik der 70er fand ich ein inspirierendes Leitmotiv. Ich richtete mir einen speziellen Arbeitsplatz ein, der nur mit elektronischen Instrumenten dieser Epoche bestückt war: Minimoog, Moog Prodigy, Moog Source, Jupiter 8, TB 303, TR 33, TR 808, TR 909, SH 101 und legte los.
Ich nannte das (Teil-) Projekt in Anlehnung an den russischen Suprematismus und Konstruktivismus „Rotes Quadrat auf Schwarzem Grund“. In Zeiten des angestrengten Feilens und Schleifens an möglichst idealen „Heaven“-Tracks, leuchteten meine Augen schon auf, wenn ich nur an „das Rote Quadrat“ dachte; vergleichbar mit dem Gefühl eines Schichtarbeiters, der an der Maschine stehend an den Feierabend denkt. Während die Arbeit an den anderen Baustellen sich eher zäh dahin zogen, fühlte ich mich beim „Retro-Musizieren“ wie auf einer künstlerischen Oase.
II
Persönliche Anmerkungen zu „Rotes Qudrat auf Schwarzem Grund“, geschrieben 1998:
ROTES QUADRAT AUF SCHWARZEM GRUND
In den letzten Wochen hatte ich viel Spaß daran, Musik zu entwerfen, die irgendwie so klingt, als hätten sich ein Pop-Art-Comiczeichner und ein Verfasser kleiner Science-Fiction-Geschichten zusammengetan und versucht, mit elektronischen Klangerzeugern aus den 70er Jahren Ihre Ideen in Musik umzuwandeln.
Etwas seltsam klingt das schon – elektronischer Krautrock – oder New Wave – oder Technopop –
im Prinzip ja – aber…?…nein eher doch nicht !
Jedenfalls entstanden eine ganze Menge in sich abgeschlossene elektronische Kurzgeschichten:
Sie handeln etwa von einer abenteuerlichen „Reise durch den Süden“, dessen „Sonnenschein“ einen
Mitteleuropäer durchaus zu einer verschrobenen Elegie hinreißen lassen kann oder von dem Atomphysiker Wolfgang Pauli, dessen Schicksal es zu sein schien, daß seine Versuchsreihen immer dann schief gingen, wenn er das Experimentallabor betreten wollte. Da gibt es sprechende Computer, die sich über den zeitgeistigen Lebensstil ihrer menschlichen Erfinder und Benutzer mokieren, Roboter, die in Maschinensprache singen oder in ihrer nicht-rostenden Körperlichkeit zeitübergreifend Elektro-Boogie tanzen. Die Geschichten erzählen von kindlichen Ausflügen per Eisenbahn ins „Wunderland“ oder pathetischen in die „Sowjetunion“… Sie entwerfen eine neue Tanzsuite für das „Triadische Ballet“ des Dessauer Bauhauses oder beschreiben die spukhafte Atmosphäre des Berliner S-Bahnknotenpunktes „Ostkreuz“ in einer düsteren Novembernacht … durchzogen von Episoden des alltäglichen Lebens wie „Erlebten Zufällen der Gleichzeitigkeit“, dem Aufstehen nach „Schlechtem Schlaf“, dem besseren Fernsehprogramm beim Blick ins „Aquarium“, bis hin zur „kleinen feinen Traumschleife“ als Möglichkeit der Auszeit irgendwo und überall …
III
I certainly have experienced coincidences of a synchronistic nature
Die zwischen November 1997 und Januar 1999 entstandenen Stücke des „Roten Quadrats“ höre ich heute als Fortsetzung und (Weiter-) Entwicklung von „14 Pieces – selected Works“, denn sie entstanden in einer ebenso spielerischen Atmosphäre der inspirierten Leichtigkeit. Spannte ich bei „14 Pieces“ einen sehr offenen stilistischen Bogen, so lag der Reiz beim „Quadrat“ in der Konzentration auf eine einzige Klangvorstellung. Die Stücke kommen nun als „industrie & melodie“ mit einer – vernachlässigbaren – Verzögerung von sieben Jahren im Dezember 2006 heraus. Genau so, wie sie damals final abgemischt worden waren.
Texte
i certainly have experienced coincidences
of a synchronistic nature
neunzehnhundertachtundsechzig
neunzehnhundertundelf
neunzehnhundertfünfzig
zweitausendzehn
zeitroboter
gestern – heute – morgen
zeitroboter
zukunft
zukunft
zukunft
die reise durch den süden
die reise durch den sonnenschein
ein luxusgut
für jedermann.
ein auto und
tv – programm.
pauschalurlaub,
erlebnisraum.
per joystick in den
cyber-traum.
ein film beschreibt
die wirklichkeit
in digitaler
natürlichkeit.
vollkommen ist
die illusion,
durch marketing
in perfektion.
unsichtbare
energien,
austauschbare
strategien.
schönheit, lust:
berechenbar.
alle träume
werden wahr.
er war ein extremer theoretiker,
der von experimenten
wenig ahnung hatte.
aber den merkwürdigen effekt,
immer, wenn er in ein
experimentallabor reinkam,
dann schienen die versuche
fehl zu gehen…
…
…
…
schönheit, lust:
berechenbar.
alle träume
werden wahr.
„Familienaufstellung“ – elektronische Musik
An vielen Stellen habe ich mich immer wieder auf das Protagonisten-Viereck bezogen, das mich in der Hauptsache dazu gebracht hat, selbst elektronische Musik machen zu wollen. Hier eine etwas aus-führlichere „Familienaufstellung“. Gerade aus dem Hintergrund von „industrie & melodie“ wird nachvollziehbar, wie stark mich die Generationen 1 und 2 beeinflußt haben .
Generation 1 (zu Unrecht im Schatten des Vierecks Kraftwerk- TD – Sakamoto – Vangelis) :
Can, Moebius, Roedelius, Cluster, Eno, Harmonia/Michael Rother, Neu/La Düsseldorf, The Giorgio Moroder, Residents, Yello, David Sylvian, Pinguin Cafe Orchestra, Pink Floyd
Generation 2 ( leider war ich noch zu klein, um damals schon mitspielen zu können…):
Laurie Anderson, Goebbels-Harth, Der Plan/Pyrolator, FSK, Heaven 17, DAF, Malaria, Die Tödliche Doris, Tom Dokupil/Siluettes 61, Holger Hiller, Reifenstahl, FM Einheit/Neubauten, Tuxedo Moon, Material/Bill Laswell, Talking Heads, Afrika Bambataa, Tackhead, Richard Kirk, A certain Ratio, The Human League, Art of Noise/Trevor Horn, Joy Division/New Order
Generation 3 ( also meine Generation) :
Future Sound of London, Peter Kuhlmann, The Modernist, Alva Noto, Thomas Fanger, Orbital, Moby, Jam & Spoon, Mario von Hacht, Aphex Twin, Autecre, Move D, Derek May, Massive Attack, Der Dritte Raum, Stevie B-Zet
Generation 4 ( die Nachgeborenen…):
Kreidler, Ulrich Schnauss, Air, Daft Punk, Röyksopp, Peter Licht, Dorfmeister/Huber, Jeans Team
KRITIKEN:
Na sowas, ein neues Album von Cosmic Baby, dem Mann der in der Technogründerzeit Trance geprägt hat wie kaum jemand sonst und der seit Ende der Neunziger nichts mehr unter diesem Namen veröffentlicht hat? Ja und nein. Ja, weil es ein komplettes Album mit ausschließlich unveröffentlichten Studiotracks ist. Nein, weil alle Titel zwischen November 1997 und Januar 1999 entstanden und sogar der damals finale Mix belassen wurde. Das Album entstand damals als Entspannung parallel zum ambitionierten und gänzlich gescheiterten Konzeptalbum „Heaven“ hat aber musikalisch kaum etwas damit gemeinsam. Im Gegenteil, Cosmic hat sich für „Industrie und Melodie“mit Keyboards der Siebziger Jahren einen eigenen Arbeitsplatz eingerichtet um den musikalischen Helden seiner Jugend zu huldigen, allen voran Kraftwerk. Und das ist gelungen, man hört geradezu wie sich fast kindliche Spielfreude mit großem Respekt vereinen. Dezent blitzt die Handschrift von Cosmic Baby im erfrischend zeitlosen (wenn man es nicht weiß, hört man keineswegs, dass das Album bereits sieben Jahre alt ist) Electropop auf, die Hommage an Kraftwerk geht bis in die Linernotes und der Titeltrack ist musikalisch und textlich („vollkommen ist die illusion, durch marketing in perfektion.“) vielleicht der beste Kraftwerksong aller Zeiten, der nicht von Kraftwerk stammt. Dass Cosmic Baby kein simples Epigonentum nötig hat, dürfte außer Frage stehen und was bitte spricht gegen ein gut produziertes, respektvolles Kraftwerk-Tribute Album voller kleiner Hits und vielseitiger Ideen? Nichts, also Höchstpunktzahl.
Hauke Schlichting, Raveline 2/07
Back 2 Basics, so könnte man meinen, war hier das Motto. Sowohl Tempo als auch Sound der 90er werden hier fast völlig ausgeblendet. Musikästhetisch bewegen sich nahezu alle Tracks in den Anfangstagen elektronischer Tanzmusik. Wenn ich es nicht besser wüsste, ich würde einige Titel bei bloßem Hören den Altvorderen von Kraftwerk zuordnen. Teilweise glaubt man sich in einem düsteren EBM-Schuppen voller schwitzender Kerle wieder zu finden und teilweise rast man als Tron-Member durch die virtuelle Welt, wie man sie sich in den 80ern vorstellte. Ab und zu linst dabei Torsten Fenslau a la Force Legato aus den Boxen. Kühle Sounds abstrakter Rhythmen treffen auf warme Flächen. Über grobmotorischen Beats tänzeln leichtfüssig filigrane Figurationen. Wenn Zukunft, dann so!
Frank Hilpert, Freshguide 02/07