(IM)PERFECTION

 

 

Eine Selbstbeobachtung: Gestern im Radio das Gespräch zwischen Olaf Zimmermann und mir in Radioeins gehört. Dabei über meine „ähm“-Arien bei manchen Passagen sprichwörtlich im Boden versunken. Und postwendend der innere Dialog: „Wie peinlich war das denn? Warum bist Du Deinem Anspruch nach perfektem inhaltlichem Duktus, Argumentation und rhetorischer Form nicht annähernd gerecht geworden?“

Einen Tag später die Frage: Warum wollen wir alle immer perfekt sein (im Denken, im Handeln, im Aussehen, in Allem?

Antwort: Weil wir den äußeren Erwartungen entsprechen wollen, die von Kindesbeinen an auch zu unseren inneren, also den Erwartungen an uns selbst geworden sind.

Aber auch, weil wir vergleichende Wesen sind und uns in den Medien in Hülle und Fülle perfekte Ab(zieh-)Bilder geliefert werden. Wie diese „formale, gecastete Perfektion“ zu Stande kommt (Coaching, Teleprompter, Nachbearbeitung) und was darüber hinaus an echtem Inhalt hinter der Oberfläche übrigbleibt, rückt in den Hintergrund: Wir sind beeindruckt. Die Bilder hinterlassen EinDruck. Wir bemühen uns, diese gestellte Wirklichkeit zum Maßstab unserer Wirklichkeit zu nehmen.

Dabei wissen wir: jeder hat seine brillianten, unverwechselbaren Eigenschaften. Sie blitzen in manchen Momenten auf und manchmal ist das Gegenteil davon der Fall. C`est la vie … doch das an uns selbst (und an anderen) zu akzeptieren ist schwer.

Lieber lassen wir uns anstecken von dem Perfektions-Kontinuum, das in den Medien ja immer in diesem eigentlich hysterischen gut gelaunten, gutgeölten, hochpolierten Einheitsglanz daher kommt.

Absonderlichkeiten, Schrullen, Stockungen, Pausen, Unsicherheiten, Ratlosigkeit, Pausen, Fehler, Versprecher, Ängste, Unwohlsein, sollen möglichst nicht vorkommen.

Aber gerade dies (John Cage hat es „Imperfections“ genannt und dem Thema eine ganze Kompositionsreihe gewidmet) macht das wunderbare, überraschende, inspirierende, freie im menschlichen Austausch und im Leben schlechthin ja aus!

Sich so sehen können wie man ist, integral,als Ganzes, mit allem vorhandenen Licht und allem vorhandenen Schatten, und sich dem zu Folge dem Anderen gegenüber (Nachbarn, Freunden, Kollegen, Mitbürgern, Ländern, Kulturen, Völkern, Tieren und Pflanzen) weder über- noch unterlegen zu fühlen, scheint für mich das Tor zu einem gelingenden Leben zu sein.