Lebenszeichen. Lebenszyklen. Lebensfragen

 Liebe Freundinnen und Freunde,

 

in der zweiten Hälfte des letzten Jahres machte ich Erfahrungen, die in ihrer Anzahl, Wucht und Gleichzeitigkeit die gesamte Bandbreite meiner wichtigsten Lebensthemen triggerten:

von familiär-persönlichen über allgemein-zwischenmenschliche bis hin zu den gesellschaftlich-

geo-politischen.

Einige davon waren profan-ernüchternd-desillusionierend, andere trafen mich substanziell schmerzhaft und erschütterten teilweise die Grundfesten meiner tiefsten Haltungen und Überzeugungen.

In der Summe ließen sie mich fassungslos, ratlos und sprachlos in einem tiefen seelischen Tal zurück, in einem Blockadezustand aus innerer Unruhe und äußerer Ohnmacht.

 

Kenne dein Warum und du kannst fast jedes Wie ertragen“ (Friedrich Nietzsche)

 

Es brauchte viel Zeit, die Gedankenlawine erst einmal anhalten zu können, sie sein zu lassen. Danach kamen die einzelnen Teile Stück für Stück an die Oberfläche. Es fiel leichter, sie aus einer zunehmenden Distanz betrachten zu können, anstatt heillos in ihnen verwickelt zu sein.

Dieser Prozess reicht in die Gegenwart und wird mich noch eine längere Zeit beschäftigen.

 

1 – 20, 20 – 40, 40-60, 60- ?

 

Irgendwann erinnerte ich mich daran, dass es gewisse Lebenszyklen gibt, die in ihren auf verblüffende Weise zeitlich ziemlich exakten Zeitintervallen meinen Lebensweg geprägt und ihm immer wieder eine neue Richtung gegeben haben.

 

Eine Freundin beschrieb es in einem Brief an mich so: „Jeder Lebensabschnitt hat seinen eigenen Zauber in sich. Die einzelnen Phasen sind auch immer abgestimmt auf neue Bewusstseinsebenen. Im Umbruch wirbelt es einiges auf. Zwar nicht immer auf sanfte Art. Manchmal sogar als innerer Sturm. Aber generell immer so wie für einen notwendig. Vorbereitend. Manches stürzt und geht. Oder löst sich auf. Einiges bleibt erhalten. Licht scheint in Bereiche, die vorher im Dunkeln verborgen waren“.

 

Jede menschliche Existenz stellt sich permanent die Frage nach dem Sinn, gerade in Phasen, in denen ihr durch bestimmte biografische Geschehnisse in neuer Form die Grenzen aufgezeigt werden, die in der Relation zwischen eigenen Wünschen/Ansprüchen/ Erwartungen, den eigenen Möglichkeiten bzw. Unmöglichkeiten und der Wirklichkeit, so wie sie ist, liegen.

In gewissen Zeiten, die ich „persönliche Wendepunkte“ nenne, scheinen sich die Ereignisse zu verdichten und können den Blick auf sich selbst und den Blick auf die Welt stark erschüttern.

Aufgebaute Gewissheiten, Hoffnungen, liebgewonnene Interpretationen, Handlungsmuster und Arrangements, Dinge, die wir über Jahre auf den bestehenden Punkt hin-entwickelt haben, verlieren ihre Kohärenz, die für eine de facto hochsensible Persönlichkeitsstruktur aber (über-)lebensnot-wendig ist.

 

Aus einem gewissen (zeitlichen und räumlichen) Abstand heraus kann man diese Verdichtung von Geschehnissen als Einladungverstehen, als schmerzhafte, aber wertvolle Hinweise darauf, sich auf eine neue Lebensphase vorzubereiten. Innehalten, reflektieren um dann die grundsätzlichen Weichen für die nächste (in meinem Fall letzte) große Etappe stellen zu können. Im Hinterkopf den äußerst elementaren Erkenntnissatz: „Wir können nur das wahrnehmen, was wir gelernt haben

 

Mein gegenwärtiges Leitmotiv könnte also sein:

Was habe ich bisher gelernt? – Wie möchte ich in Zukunft (weiter-)leben?

 

Daraus ergeben sich auf persönlicher Ebene Fragen wie:

Welche elementaren Einsichten durfte ich aus meinen Erfahrungen gewinnen?

Was geht? Was bleibt?

Was möchte ich er- oder be-halten, mitnehmen?

Was sollte ich loslassen?

Von was muss ich mich verabschieden? (Erwartungen, Hoffnungen, Denkkategorien, Gewissheiten, Wertvorstellungen, Prinzipien die sich als Illusionen herausgestellt haben).

Auf welchen Feldern beschwindele ich mich? Was rede ich mir schön?

Aber auch: welche Erwartungen, Hoffnungen, Denkkategorien, Gewissheiten, Wertvorstellungen, Prinzipien (die sehr wohl auch Illusionen sein könnten), möchte ich mir um keinen Preis nehmen lassen? („von nichts und niemanden“). Und warum?

 

Welche Konsequenzen soll oder kann ich daraus ziehen?

Welche Verluste will ich in Kauf nehmen?

Können daraus neue innere Freiheiten und Möglichkeiten entstehen?

Welche inneren Blockaden nehme ich in & an mir wahr?

Warum möchte ich zwanghaft „besser“ sein, als ich bin?

Welche (Schatten-) Anteile an mir selbst, welche inneren Kinder halte ich unter Verschluss?

Welche unerlösten Aspekte in mir triggern meine negativen Gefühle gegenüber anderen?

 

Wo liegen meine Sehnsüchte?

Gibt es neue?

Oder auch Sehnsüchte, die bis jetzt in meinem Leben zu kurz gekommen sind?

Wovor habe ich Angst?

 

Auf der anderen Seite stellen sich die brennenden Fragen zu den großen, sich weiter verschärfenden zentralen soziokulturellen, sozioökonomischen, soziopolitischen und sozioökologischen Problemen der Welt in der wir leben:

(globale) soziale (Un-)Gerechtigkeit, Geopolitik & Weltfrieden, Rettung des ökologischen Systems Erde.

 

An welchen Stellen kann ich für die Welt nützlich sein?

Was kann ich weitergeben?

Wenn ja: auf welche Art?

 

Nehme ich mich zu wichtig?

 

Wo sollte ich mich besser heraushalten, zurücknehmen, Abstand halten,

welchen Dingen und Bereichen dafür mehr Aufmerksamkeit schenken?

 

Ich muss es deutlich sagen: Wenn all das „Gute“, „Richtige“, „Vernünftige“, „Notwendige“ und „Erstrebenswerte“, was unser westlich-moderner Lebensstil hervorbringt, dazu führt, die Lebensgrundlagen des Planeten zu zerstören, dann sind das eben KEINE „Errungenschaften“. Anknüpfend daran ist für mich das zivilisatorisch-moralische Überlegenheitsgefühl gegenüber allen anderen Kulturen umso ungeheuerlicher; und damit einhergehend die Scheinheiligkeit, der Nicht-West-Rest-Welt explizit die eigenen Interessen als humanistisch-beglückende Akte zu verkaufen – immer mit der erdrückend großen Wirtschafts-, Finanz- und Militärmacht im Rücken.

Das globale politische Handeln erscheint mir als eine (grün-, neuerdings oliv-grün-kapitalistische) Schönheitschirurgie an einem todkranken Krebspatienten. Die Systemfrage wird nicht diskutiert. Nicht einmal gestellt. Was ist hier los??? Wie damit als Einzelschicksal umgehen???

 

Wieviel Ambiguitätstoleranz ist dafür notwendig, in einer Welt gesund und lebensbejahend zu bleiben, die meiner Wahrnehmung nach unwiderruflich und unumkehrbar aus den Fugen geraten ist und ungebremst in allen nur denkbaren Bereichen gleichzeitig gegen die Wand fährt?

 

Wie kann es uns gelingen, eine wahrhaftige Weltbeziehung in Integration mit einem gleichsam wahrhaftigen und möglichst erfüllenden, zufriedenen, lebendigen, offenen, selbstbestimmten, sinnvollen Leben in Frieden und Einheit mit der Natur zu leben? Das ist die große Frage.

 

In den nächsten Monaten werde ich einige der Gedanken, die ich mir in ausführlicher Form gemacht und zu Papier gebracht habe, auf meiner Webseite veröffentlichen. Die Facebook-Seite wird dann aktuell die entsprechenden Links dazu bekannt geben.

 

Allerliebste Grüße

Euer Harald