DREI TAGE IM SCHLOSS – WERKSTATTKONZERT NO. 8 (NICHTÖFFENTLICH)

Am Freitag gegen 15.00 Uhr kam ich an. Ich fühlte mich sofort wohl. Ich wurde durch das Schloss geführt. Wunderschöne, großzügige Räume: offen, hell, freundlich, luftig und ästhetisch. Im Raum der Stille stand ein Korb, in dem Steine lagen. Auf jedem Stein ein Name, Geburtsdatum und Sterbedatum. Einmal im Jahr wird der Korb an die Ostsee gebracht. Dort werden die Steine dem Meer übergeben. Ein Abschiedsritual.

 

Erste Gespräche. Alle, ob Mitarbeiter oder Gäste, sind dem Leben zugewandt. Ich befinde mich auf Schloss Bernstorf: Ein Hospiz, ein Haus des Lebens (bis zum letzten Atemzug).

 

Am frühen Abend nehme ich Bekanntschaft mit dem Flügel auf. Es ist ein über hundert Jahre alter Feurig, den eine der Gäste, eine japanische Pianistin, dem Schloss zur Verfügung gestellt hat.

Ich spiele etwa eine Stunde, alle Türen zu den anderen Räumen sind offen, die Klänge verbreiten sich im ganzen Haus. Danach bekomme ich ein leckeres Abendessen. Natürlich gibt es einen sympathischen und großartigen Koch, der jedem Gast das zubereitet, was er gerne essen möchte.

Der Abend klingt aus mit weiteren Gesprächen am langen Tisch.

Am frühen Morgen rauche ich meine erste Zigarette in der Morgensonne sitzend. Auf dem nahegelegenen Bauernhof beobachte ich einen Hund, zwei Pferde und einen von Baum zu Baum springenden riesigen Adler, der den anderen Bewohnern zeigt, wer hier der Chef ist. Nach dem Frühstück sitze ich wieder am Flügel. Als ich nach etwa einer Stunde absetze und aufblicke, staune ich nicht schlecht: der Raum hat sich mit zehn Mitarbeiterinnen gefüllt, die mucksmäuschenstill zugehört haben – ich hatte nichts davon mitbekommen. „Wir haben uns die ganze Zeit auf Dich gefreut. Erst recht, als wir schon gestern von unseren Leuten darüber unterrichtet wurden, wie toll Du spielst!“. Ooohhhh :-)))

Schloss Bernstorf, Foto HB

Das Leben ist ein Geschenk. Jeder Augenblick, den ich (er-)leben darf, ist ein Geschenk, hier zu sein, ist ein Geschenk. Oft habe ich das Gefühl, dass uns das Leben über die Schulter blickt und fragt, ob wir uns seines Geschenks eigentlich würdig erweisen…

Um 16.00 Uhr gab ich mein Konzert vor den Gästen, also Menschen, die bald sterben werden, einigen ihrer Angehörigen (die auf Wunsch zu jeder Zeit im Schloss wohnen können) und vielen Mitarbeitern (Sterbebegleitung, medizinische Versorgung, Pflege, Therapie, Verwaltung, Küche, Technik, Reinigung).

 

Mein Gefühl beim leben, denken, fühlen und spielen war in dieser Situation vielleicht noch einen Tick geschärfter, als eh schon immer ist: wir alle, die wir hier zusammen sind, sind ein kleiner Bestandteil eines großen Ganzen; wir sind miteinander verbunden und mit allem, was existiert, existiert hat und existieren wird („Autopoiesis“): Mit jedem Gedanken, jedem Menschen, jedem Baum sind wir verwandt („Andacht“), mit den Tieren, den Bergen, dem Wasser, den Wolken, dem Himmel und den Sternen („Am Fluß“, „Der Stechlin“). Wo wir genau herkommen, wissen wir nicht, wo wir hingehen werden, wenn unsere Körper die Erde wieder verlassen, wissen wir nicht („Die innere Flamme“). Aber in der verschwindend kleinen Zeitspanne dazwischen sind wir HIER und LEBEN – so wie wir sind („Schwere Dampflok über Berg & Tal“). Vielleicht wird dieses Leben das unglaublichste sein, was uns je begegnen wird („Träume“).

 

Der gute Geist, der in diesem Haus herrscht, der Klang, die Architektur, die Landschaft, die Menschen und die Seelen schienen ideal miteinander in Resonanz zu gehen. Es machte Sinn und große Freude, hier zu spielen. Es war ein wunderbares Erlebnis für mich!

 

Schloss Bernstorf, Foto HB

Am Abend lange Gespräche in größerer Runde über unsere Erfahrungen, unsere jeweiligen Lebensentwürfe, Lebensveränderungen, Motive, den Unterschied zwischen Mit-Fühlen und Mit-Leiden, Möglichkeiten der notwendigen Distanz, Aufbau der Resilienz, dem Bei-Sich-Bleiben als Voraussetzung für ein auf-jemanden-zu-gehen…

 

Vor meiner Abfahrt nach Hause verabschiedete ich mich mit einem kleinen Sonntagmorgenkonzert.

Das Leben ist ein Geschenk. Es geht von Augenblick zu Augenblick. Und nach jedem Augenblick bin ich ein anderer als zuvor. So ging ich von hier als ein etwas anderer weg, als ich gekommen war.

Ich freute sehr mich über den geäußerten Wunsch, dass ich wiederkommen soll, wenn ich möchte.

Und ich bedankte mich herzlich für diese drei Tage im Schloss. Ich möchte wiederkommen…

 

Schloss Bernstorf, Foto HB