Über die tiefe Trauer im Leben

Über die tiefe Trauer darüber, dass Tiere und Pflanzen leiden und gemordet werden, dass Lebensräume zerstört werden, dass das Leben eine ständige Konfrontation mit dem Leid darüber ist, dass ich in einer Welt lebe, in der Kälte, Ungerechtigkeit, Zerstörung, Ignoranz, Gier, Neid und Aggression, strukturelle Gewalt, geistige Enge, Unachtsamkeit, Vorteilsdenken, gedeckelte Barbarei & Bestialität, Konformität und Gleichgültigkeit die objektiven, allgemein beherrschenden Muster des menschlichen Verhaltens darstellen.

Hat sich in den letzten Jahren die Welt nur einen kleinen Deut gebessert? Werden nicht nur alte, vorformulierte Losungen, Meinungen und Verhaltensmuster durch etwas aufgehübschte Varianten des Immergleichen ersetzt?

Das Prinzip der Konformität im behaupteten Fortschritt scheint vollkommen unangetastet zu bleiben.

Dann das Leid vieler, die mir am nächsten sind. Dann der Gedanke an den Sinn, auf der Welt zu sein und der Gedanke an den Tod. Die Verzweiflung darüber, die Welt nicht verbessern zu können, sondern in ihr verstrickt zu sein.

Das Verzweifeln an der Welt, so wie sie ist.

Und doch immer weitermachen.

Der Wunsch nach Erlösung. Die naive Wunschvostellung, nach dem Tod aufzugehen in einem vereinigten Seelenmeer des Guten und Schönen. Der Wunsch nach himmlischer Einheit, der Überwindung der materiellen Spaltung.

II

 

 

Man muss Wege finden, zurechtzukommen mit und in dieser furchtbar unvollständigen und unidealen Welt.

Mir kommt der Gedanke, dass man – im Worst Case, wenn keine Lebens-Kraft mehr da ist, weil man an der Welt endgültig verzweifelt- sich radikal spalten muss zwischen dem (eigenen) Leben und der äußeren Welt.

Vielleicht hilft es, in letzter Konsequenz dann so zu tun, als würde einen diese Welt überhaupt nichts angehen, als wäre sie reine Kulisse, eine künstliche Projektion; als würden die beiden Sphären vollkommen unabhängig voneinander nebeneinander her existieren und ein sich Berühren und Ineinandergreifen wäre ausschließlich pure Illusion, Täuschung, Vorspiegelung falscher Tatsachen.

Vielleicht ist es in Wirklichkeit auch nur Täuschung … auf jeden Fall verlöre dann die Welt ihre Wirkmacht, wenn man sich nicht von ihr beeindrucken, sie links liegen ließe. Wenn ich „links liegen lassen“ sage, meine ich damit aber nicht: sie „verdrängen“, oder so tun, als gäbe es sie nicht. Natürlich gibt es sie, die äußere Welt, aber das muss nicht heißen, dass sie dadurch auch zwangsläufig in jedem Fall Macht über mein Leben haben muss.

Wenn man etwas verdrängt, schleppt man es mit sich herum, frisst es in sich hinein, das Verdrängte wirkt dann aus der unbewussten Tiefe, „Links liegen lassen“ meint in meinem Sinne eher, dieser Welt nur die Beachtung zu schenken, die unbedingt notwendig ist, um sich ihre schlimmsten Manifestationen und Auswirkungen vom Leib zu halten.

Man hätte also die Wahl: mit ihr zu kämpfen, sich ihr unterordnen, sich an ihr abarbeiten, vor ihr zu kapitulieren, oder sie eben nicht zu wichtig zu nehmen, auf Abstand zu gehen, eine Distanz zu schaffen zwischen dem eigenen Leben und der Welt, in der ich lebe.

Eskapismus?

Selbstüberschätzung?

Sophismus?

Achtlosigkeit?

Irrsinn?

Schwäche?

Kapitulation?

Wenn es um die Rettung des eigenen Lebens geht, muss jeder Gedanke erlaubt sein, jeder (innere) Vorwurf –ob er nun berechtigt oder unberechtigt ist- abgeschmettert werden. Da kann es nicht mehr um Eitelkeiten gehen. Vielleicht ist die ethische Eitelkeit, die ja erst einmal gespiegelte Normen der äußeren Welt in Verbindung mit meiner Innerlichkeit ist, zu durchschauen als Mittel der Welt, das eigene Leben zu kontrollieren und zu beeinträchtigen. In diesem Sinne wäre die Welt dann als Gegenspieler des eigenen Seins zu begreifen, sozusagen als diejenige Instanz, die daran arbeitet, das eigene Selbst nicht wirklich frei wachsen zu lassen.