Über Existenzängste, Identität und Erfolg (und Fremdbestimmtheit)

Bei unglaublich vielen Menschen, die ich zu meinen Freunden und guten Bekannten zähle, herrscht ein Gefühl der Existenzangst. Sie bewegen sich immer auf dem schmalen Grad zwischen Hoffnung und Verzweiflung, Glauben an die eigenen Fähigkeiten und Verlust des Selbstwertgefühls, da ihnen eine Wertschätzung von außen in Form einer ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen angemessenen beruflichen Aufgabe vorenthalten wird.

Es sind immer vor allem diejenigen, die ich als besonders wertvolle Menschen liebe und schätze, denn sie besitzen IDENTITÄT. Es zeichnet sie aus, Wahrnehmungen, Gedanken, Ideen, (Handlungs-) Vorstellungen, Grundsätze und Gefühle jenseits der erwarteten und vorgegebenen zu haben. Eine Ordnung, die auf eingeübten bzw. andressierten Schablonen basiert, wird nur in äußerst seltenen Ausnahmen bereit sein (müssen), eigenständig handelnde Elemente zu integrieren, wo doch immer ein genügend großes Potential an Einverstandenen hechelnd und willig bereitsteht, genau das (freiwillig…) zu tun, was im Anforderungsprofil (das nicht einmal explizit ausgesprochen werden muss…) erwartet wird. (Apropos „20 Jahre friedliche Revolution“: Ist nicht die DDR vor allem an diesem Problem gescheitert ???)

Und dann gehe ich “raus” und schaue mir die Welt der “Erfolgreichen”, also derer, die offiziell mit Arbeit ausgestattet und mit öffentlicher Anerkennung dekoriert sind, an. Da, wo sich die, die sich selbst als “einflussreich” einschätzen ihrer Kaste und Konto entsprechend treffen und sich alle zusammen so großartig finden (müssen), dass einem das Kotzen kommt und man gleichzeitig über diese Mischung aus Eitelkeit, Uniformität, Konformität, Selbsteingenommenheit, Selbstzufriedenheit, Selbstüberschätzung und Dummheit einfach lachen muss und ganz genau weiß, dass es niemals das Ziel sein konnte und kann, in dieser Soßen mit zu schwimmen.

Ich will nicht neunmalklug klingen und nicht überheblich und weise darauf hin, dass ich hier meinen eigenen ehrlichen Standpunkt zu Protokoll gebe:  solange man seine eigene Existenz, seine eigene Identität, seinen Selbstwert den Wertmassstäben den äußeren gesellschaftlich aufgestellten und akzeptierten Wertesystemen zu Grunde legt, so lange wird ein selbstbestimmtes und gleichzeitig zufriedenes Leben nicht realisierbar sein, da man immer abhängig sein wird von fremdbestimmten Bedingungen und Kriterien, mit denen man sich (wenn man ist, wie man sein will) nicht identifizieren kann.

Das Projekt, man selbst zu werden ist etwas ganz anderes als ein (nach vorgegebenem Drehbuch) inszeniertes “authentisch sein” zu spielen!

Ich habe mich schon lange von der Vorstellung verabschiedet, innerhalb des Systems (das bei Lichte besehen, nur noch „Markt“ sein will) einen Platz zu finden, in dem ich meine Wünsche und Fähigkeiten ungefiltert, unverbogen und ungetrübt realisieren kann. Überall wären “Kompromisse” zu machen, “Vorgaben” einzuhalten, “Spielregeln, auch wenn sie nicht schön sind” zu akzeptieren, Begehrlichkeiten, Erwartungen, “einflußreiche Meinungen”, „neueste Erkenntnisse“, „statistische Erhebungen“  und “unverrückbare Tatsachen” zu berücksichtigen, “Loyalitäten” und “legitime Interessen” zu beachten, usw. Bevor ich daran zerbrochen wäre, dass das bestehende System (so wie es ist) nicht zu mir (so wie ich bin) passt, nahm ich lieber das Risiko auf mich, daran zu zerbrechen, einen gehbaren Weg außerhalb der (unbefriedigenden aber wenigstens be-kannten!) nicht zu finden.

Das ist mit großen Verlusten in denjenigen Kategorien verbunden, die wir alle als “Eckpunkte einer glücklichen und erfolgreichen Existenz” mit der Muttermilch aufgesogen haben: Verlust der allgemeinen öffentlichen Anerkennung, Verlust eines “gesicherten” Einkommens, Verlust, sich in den “bekannten Kreisen” – die soziale Sicherheit & Identifikation gaben – selbstverständlich-konform bewegen zu können. Kurz: die verwendeten, allgemein gebräuchlichen sozialen Codes können nicht mehr mühelos eingehalten, verstanden, eingesetzt und umgesetzt werden.

Am Anfang steht eine freiwillige soziale Ächtung. Am Anfang steht eine Art kalter Entzug mit allen brutalen Entzugserscheinungen.

Doch wie bei allen nachhaltigen Veränderungen setzt irgendwann eine Gewöhnung an die Entwöhnung ein. Der vielleicht kritischste Punkt ist erreicht, wenn es kein zurück mehr Bekannten und gleichzeitig aber auch noch keine gehbare Perspektive zum positiven Neuen gibt. Doch von Erfahrung zu Erfahrung wird das unverbogene, vielleicht abgespaltene, aber immer noch in seiner Substanz erhaltene SELBST stärker, kräftiger, aktiver. Es kommt jeden Tag ein Stück näher an die Oberfläche, wird breiter und resistenter gegen die eigenen (in Wahrheit aber fremdbestimmten) Zweifel und Ängste. Es bieten sich neue, bisher nicht wahrgenommene Möglichkeiten, Alternativen zum Mainstream-Leben.

Eine Garantie gibt es dafür nicht. Aber die gibt es erst recht nicht, wenn man verzweifelt den gebetsmühlenartig wiederholten Rezepten von den sogenannten “Ratgebern und Experten” (die komischerweise alle ihre Schäfchen im gesellschaftlich einverstandenen Trocknen haben) zum dreitausensten Male hinterherhechelt und doch nur der von mal zu mal frustrierendere Nachgeschmack übrig bleibt, sich noch weiter erniedrigt zu haben und nicht einmal dadurch zum ersehnten Ziel gekommen zu sein…

Das ist kein selbstgefälliger Aufruf zum “Scheiß-die-Wand-an” oder zum “kuck-mal-wie-toll-wir-sind”. Es ist eher ein Appell an das unverstellte Ich, sich nicht unterkriegen zu lassen. Ganz im Gegenteil: ein Appell an die unbändige Kraft des unverstellten ICH, an die eigene Selbstwirksamkeit.

An sich selbst zu glauben, sich eben nicht “unbrauchbar”, “liegen-gelassen”, “unfähig” zu fühlen, weil es nicht so geht wie bei den “erfolgreichen Anderen” (deren einzige Identität ihr “Status” ist, der permanent am seidenen Faden hängt und wehe, wehe, der reisst…).  Und in stetigem Masse mehr und öfter die stärkende Gegenwart von Menschen zu spüren, die ebenfalls nach Alternativen suchen.

Der von mir hoch verehrte Hirnforscher Professor Gerald Hüther ( http://www.gerald-huether.de ) sagt sinngemäss:

“Das – mit dem gesamten Körper verbundene- Hirn ist originär und wunderbar dafür gemacht, an Problemen zu wachsen”.

Das „Problem“ des Werdens zum selbsttätigen Menschen, ist das existentiellste, das ich kenne. Sehen wir Probleme (so schwierig sie auch sein mögen) als Chance an, im eigenen Leben zu neuen Interpretationen und Möglichkeiten zu kommen:

ein träumender Mensch ist kein Träumer, ein fantasievoller Mensch ist kein Fantast !