im herbst

im herbst

 

im herbst strahlen die blätter der bäume in tausend farben.

die blätter der bäume, die der wind in wunderschönen flugbahnen

durch die luft trägt, bis sie irgendwann hinab auf den boden schweben.

sehe ihnen dabei von einer parkbank aus stundenlang zu.

im gehen raschelt das laub unter meinen füssen.

wie das riecht: das laub in nebliger feuchtigkeit.

freue ich mich über den frischen wind, der mächtig in mein gesicht weht,

trommeln regentropfen-staccati auf meiner kapuze,

bin ich dankbarer für die sonne, die sich nun

rar, zurückhaltend und in ganz anderem licht gibt.

spielen am himmel die wolken die hauptrolle.

im herbst kann ich endlich wieder in mäntel und lieblingspullover schlüpfen,

fühle ich mich in meiner kleidung angenehm beschützt und geborgen.

holen die frauen ihre hohen stiefel heraus, umhüllen ihre beine mit schickem nylon.

selbst in den städten wird es stiller,

brauche ich nicht ständig vor groben lautheiten zu fliehen,

werden die grellen signale durch den nebel gedämpft,

scheinen sogar die mobiltelephone leiser gestellt,

wird das stupende gesäge der hochtourigen automotoren vom

silberschweifigen sirren durch pfützen fahrender reifen überspielt.

.

im herbst fängt die zeit an, sich auszudehnen,

ist mehr raum, die dinge auf sich wirken zu lassen.

wäscht der regen den dekorativen putz von den fassaden.

packen die menschen ihren allgemeinen frohsinn, ihr zwanghaftes vergnügt- und aktiv-sein zu den sommersachen in den schrank,

ist ihr treiben zurückgenommen, verlangsamt, heruntergestimmt.

der herbst ist die einzige von der werbung noch nicht enteignete jahreszeit.

sind in den abendstunden die verregneten strassen, die dunstigen plätze fast leer,

kann ich in ihnen spazieren wie in einem einsamen wald.

sehe ich in die beleuchteten fenster, verschwimmen milchig scheinwerfer, leucht-reklamen, ampeln und strassenlaternen mit den umrissen von gestalten und gebäuden.

beglückt mich die vorstellung, nach einem langen spaziergang in eine

warme wohnung zu kommen und dampfenden chai zu trinken.

lese ich die bücher eingehüllt in einer wolldecke.

klingt der flügel fluoreszierender, dunkler, romantischer,

sind die stunden mit ihm offen – unendlich,

sehnen sich ohren und hände nach schumann und chopin.

wird es  manchmal den ganzen tag nicht richtig tag.

fühle ich mich trotzdem klarer, wacher und gesund.

kämpfe ich weniger mit den gedanken, zu distanziert zu leben.

spricht nichts dagegen, meine meinigkeit anzuerkennen.

stellen sich die fragen nach zuviel oder zuwenig nicht,

verstummen die von aussen hereingetragenen und doch selbstproduzierten stimmen.

löst sich unruhe auf in konzentration.

geniesse ich darum in vollen zügen das, was ich tue.

erlebe es intensiv, präzise, organisch.

bin gegenwärtiger und zufriedener.

im herbst strahlen die blätter der bäume in tausend farben.

(November 2008)