Raveline Nr. 167, 02.2007, Titelgeschichte, von Hauke Schlichting

COSMIC BABY

TECHNOWUNDERLAND IST ABGEBRANNT –
EIN MUSIKERLEBEN ZWISCH KUNST UND KAPITAL

 

Harald Blüchel hat Musikgeschichte geschrieben. Er war ein wichtiger Teil, als Techno in Berlin explodierte, er war DER Protagonist der Trance-Dzene,und über seine weltweiten Konzerte könnte er Bücher schreiben. Auf dem Höhepunkt des Erfolgs hat er mit allem gebrochen und schien Film- und Theatermusik verkrochen. Jetzt kommen gleich drei unterschiedliche CDs auf den Markt, die Frühwerke sind ebenfalls neu aufgelegt, da ist es nun Zeit für ein umfassendes Porträt.

 

Raveline: Wenn man Deine Biographie liest, stolpert man zuerst darüber, dass Du mit sieben Jahren ein Hochbegabtenstipendium bekommen hast. Das klingt so nach musikalischem Wunderkind…

 

Harald Blüchel: Das war eher frühkindliche Leidenschaft. Wenn man nach den Ursachen in Künstlerbiographien forscht, dann stößt man meist darauf, dass es ein frühes traumatisches Erlebnis gab, dass dann künstlerisch kompensiert wurde. Also dass man sich ein Paralleluniversum aufbaut, in dem man das bekommt, was man im wirklichen Leben nicht bekommt.

 

Raveline: Was musstest Du denn als Kind kompensieren?

 

HB: (…) Ich habe mich damals als ein Außenseiter gefühlt und hatte das Gefühl, dass das Klavier das Gerät ist, mit dem ich mich ausleben kann. Was man dann so schön „hochbegabt“ nennt, ist eigentlich nichts anderes, als eine freiwillige Art ein Dilemma auszugleichen.

 

Raveline: War Musik schon als Kind für Dich eine positive Form von Eskapismus?

 

HB: Ganz klar. Ich wär’ nur mit dem Begriff Eskapismus vorsichtig. Das würde ja heißen, man flieht vor der Außenwelt. Ich wollte immer gern dazugehören.

 

Raveline: Ich meinte das eher im Sinne von Kindern, die sich eine Höhle im Wald bauen und einrichten, um sich eine eigene Welt in der Außenwelt zu schaffen. Diese Höhle scheint bei Dir Musik gewesen zu sein.

 

HB: Definitiv.

 

Raveline: Mit vierzehn Jahren hast Du dann das Konservatorium wieder verlassen, warum?

 

HB: Ich hatte erstmal genug von klassischer Musik. Und aus der Motivation, ein Versteck zu bauen wurde dann auf dem Konservatorium ein Leistungssport. Wenn es darum geht, zu einem klassischen Pianisten ausgebildet zu werden, heißt es nur noch Parieren, Disziplin, Perfektion. Rein technisch gesehen hatte ich auch nicht die Fähigkeit ein Superpianist zu werden. Schon damals wollte ich mich selber einbringen, selber produzieren, nicht nur reproduzieren.

 

Raveline: Als Du 1986 nach Berlin gezogen bist, um Dein Studium aufzunehmen, gab es da zudem die Faszination der Großstadt für Dich?

 

HB: Ja, natürlich. Ich war fasziniert von den Konzerten im SO 36 in Kreuzberg: Einstürzende Neubauten, Throbbing Gristle, Die Tödliche Doris. Und Berlin war von Nürnberg die nächstgelegene, akzeptable Großstadt. Aber das Studium war ebenso wichtig für mich, ich wollte möglichst viele Freiheiten haben, in dem was ich mache. Berlin war damals die einzige Stadt in Deutschland, die Musikstudenten den Umgang mit einem Fairlight (sozusagen der Prototyp aller Sampler – Anm.) anbot.

 

Raveline: Einer Deiner ersten musikalischen Partner war Jonzon. Wie sahen Eure ersten Recording Sessions aus und steht Ihr heute noch in Kontakt?

 

HB: Ich hatte ja schon Ende der Achtziger ein paar Instrumente gekauft und zwar vornehmlich ältere, preiswerte Geräte, die gerade aus der Mode gekommen waren, mit denen man aber elektronische Musik machen konnte: die 808 und die 303 von Roland. Ich stellte mir damals eigene Musik vor als Schnittmenge zwischen Afrika Bambaataa, Kraftwerk und Philip Glass. Als ich mit diesen Sachen nach Berlin kam, hörte ich im Radio eine Sendung von Monika Dietl, die sich damals sehr um neue elektronische Musik gekümmert hat und die nun begeistert Acid House spielte. Das war ganz anders als alles was ich in Bayern gehört hatte. Monika Dietl hat mich mit Jonzon zusammengebracht. Jonzon war Schlagzeuger in so einer Jazz-New-Wave-Band und legte schon damals Acid House auf. Er kam dann immer mit Samples von irgendwelchen Acid-Platten zu mir und wir haben darum dann unsere eigene Chicago-House-Tracks gebastelt. Melodien gab es nicht; immer wenn etwas nur ein bisschen etwas akkordhaftes hatte, hat Jonzon abgewinkt. Da saßen wir also mit fünf Geräten in einem 18qm-Zimmer und haben uns wie kleine Kinder gefreut, wenn’s ordentlich gegroovt hat.

 

Raveline: Das hat ja immerhin dazu geführt, dass ein paar Amerikaner über Euch sagten, Ihr wäret die einzigen Chicagoer aus Europa…

 

HB: Ja, da waren wir stolz wie Oskar. Wir sehen uns auch heute noch ab und zu. Ich bin sicher, dass wir irgendwann nochmal zusammen Musik machen werden.

 

Raveline: Ein weiterer früher Wegbegleiter war Gabi Delgado von DAF und seine Partnerin Saba Komossa (zusammen DelKom), die Eure erste Platte veröffentlicht haben. Laut Linernotes von Dir, habt Ihr dafür nie eine Abrechnung gesehen. War das damals so?

 

HB: (…)Es war für mich ein Hammer, dass mein Idol Gabi Delgado eine Platte von uns rausbringt. Er sagte damals, dass er lieber ein neues Label gründen würde, als sich einen neuen Porsche zu kaufen. Das traf natürlich auf euphorische Resonanz bei uns. Und als es dann noch hieß, „wir finden Eure Musik so gut, dass wir Euch auch in unserem Musikverlag haben wollen“ da haben wir mit großen Kinderaugen alle Verträge unterschrieben und den ersten White Labels entgegen gefiebert. Ich habe damals alle Warnungen von etwas älteren Freunden von mir ausgeschlagen, ich fand es geradezu unverschämt, dass sie in dem Vertrag für uns nachteilige Formulierungen ausmachten. Ich wollte das nicht hören und dachte, die wollen mir das nur mies machen. Aber genauso ist es dann passiert…

 

Raveline: Bereust Du das jetzt?

 

HB: Nö. Ich hab ja vieles daraus gelernt und kann darüber nicht böse sein. Ich meine, die Platte lief überall in den Clubs und am Ende des Jahres stand in der Groove, dass das Stück eine der zehn Platten des Jahres war. Was für ein Start.

 

(…)

 

Raveline: Du warst bei der ersten Love Parade dabei und hast mal gesagt, die ersten vier Paraden wäre der Traum von erfüllten Wünschen gewesen, dann hättest Du bei drei Paraden aus der Distanz gestaunt, ab der achten Parade seist Du angeekelt aus der Stadt geflohen und seit der 13. Parade sei Dir das Event nur noch gleichgültig. Du kennst Motte bereits aus den Gründertagen in der Turbine Rosenheim. Wie ist Euer Verhältnis zueinander?

 

HB: Die Leute, die damals in der Turbine oder im Fischlabor waren – wo ich übrigens mit Tanith hinter der Bar gearbeitet hab’ – das waren die 150 Leute, die bei der ersten Parade waren. Man hat sich ständig getroffen: Tanith, Jonzon, Motte, Kid Paul und auch WestBam. Und es war nie wichtig, wer eigentlich gerade Platten auflegt und wer gerade tanzt. Und wer etwas neues zuhause gebastelt hatte, brachte es einfach auf Cassette mit. Das war ein idealer Pool. Die Idee, dann eine Demonstration anzumelden, die nichts anderes ist als ein Umzug mit unserer Lieblingsmusik, flatterte unter uns herum. Und Motte war dann derjenige, der das glücklichweise in die Hand genommen hat und gesagt hat: „das machen wir jetzt!“ Er ist nicht der Erfinder der Love Parade, aber derjenige, der sie realisiert hat. Er hat sich dann mit ein paar Freunden um alles gekümmert. Mit der Absage seiner Teilnahme 2006 hat er letztlich die gleichen Konsequenzen auf seine Art gezogen, wie ich auf meine Art ein paar Jahre früher.

 

Raveline: Du hast im Laufe der Jahre mit sehr vielen Leuten zusammengearbeitet, einer davon ist inzwischen ein richtiger Popstar: Paul van Dyk, mit dem Du das Projekt Visions Of Shiva hattest. Im Kleingedruckten auf Deiner Website findet man dazu den Hinweis, dass Du Dich wundern würdest, dass Paul bis heute nicht dazu stehen würde, damals nicht viel dazu beigetragen zu haben. Was ist denn damals passiert?

 

HB: Das Thema Visions Of Shiva ist ein kleines Dilemma. Damals habe ich mich nicht dazu geäußert, was passiert war, das sah dann so aus, dass wir Partner zu gleichen Teilen waren. Dann hatte ich mich soweit von Techno entfernt, dass es sich nicht so richtig anbot, darüber zu sprechen. Und in den letzten Jahren dachte ich mir, wenn ich jetzt damit anfange, klingt das so, als wollte sich der zu kurz gekommene Harald Blüchel über den Megastar Paul van Dyk noch mal ins Gespräch bringen. Jetzt bin ich soweit, dass ich einfach sagen will wie es war, weil es immerhin etwas mit meiner Urheberschaft zu tun hat, verdammt noch mal. Ich meine, 150 Leute die damals zusammen gehangen haben, hatten sich alle lieb. In dieser Aufbruchseuphorie war das wirklich so, nicht nur ein Slogan. Genauso war das mit kreativen Kooperationen: da ist ein kleiner netter, sehr bescheidener junger Mann, aus Eisenhüttenstadt auch noch. So jemand konnte bei mir mit meiner Halb-DDR-Sozialisation nur offene Türen einrennen. Ich kenne Eisenhüttenstadt, ich habe da auch Verwandte. Und dieser junge Mann liebt diese Musik und sagt, er möchte auch mal dabei sein, wenn solche Musik entsteht und er möchte mal im Tresor auflegen und so weiter. Das war alles nett und hat mir geschmeichelt. Und wenn man dann beim Produzieren an diesen Menschen denkt und dann etwas Tolles dabei herauskommt, dann hat man das Gefühl einer Verbundenheit und man denkt sich – auch wenn es doch ein Cosmic Baby-Stück ist – dass die Platte ihm doch vielleicht helfen könnte DJ-Auftritte zu bekommen, schließlich gehören wir doch alle zusammen. Das war der auschlaggebende Punkt: eine Sache gemeinsam durchzuziehen, die technisch gesehen keine gemeinsame Sache war.

 

(…)

 

Raveline: Jemand, den Du auf jeden Fall wesentlich mehr magst, ist Jam el Mar, damals Teil des Duos Jam & Spoon. Über ihn hast Du geschrieben, er sei ein Meister, dem kaum jemand das Wasser reichen kann. Das klingt nach umfassender Verehrung.

 

HB: Ja, großes kollegiales Lob.

 

Raveline: Hattest Du mit Mark Spoon auch etwas zu tun?

 

HB: Ja. Ich hab von Anfang an bei Markus das Gefühl gehabt, dass wenn die Umstände etwas anders wären – ich will jetzt gar nicht erklären, was mit Umstände alles gemeint sein könnte – dann hätte er ein ganz naher Freund von mir werden können. Immer wenn wir uns gesehen haben, dann waren da Momente, wo wir plötzlich zu zweit waren, ob da nun ein Gejohle drum herum war oder nicht. Und es gab längere Momente, wo wir zu zweit Tage miteinander verbracht haben, da wurde dann ganz intensiv Privates besprochen. Deswegen ist er einer der wenigen aus dieser Szene, die mir sehr viel bedeuten, den ich immer als Gefährten gesehen habe.

 

Raveline: Mit Mijk van Dijk hast Du damals eine Compilation auf MFS Records zusammengestellt („Tranceformed from Beyond“), die etwas gänzlich neu erfunden hat, nämlich weniger als Mix-CD funktionierte, sondern eher als eine Remix-Platte. Ihr habt alle Stücke bearbeitet, teilweise so stark, dass nur noch die Essenz übrig blieb. Das war neu und aus heutiger Sicht wegweisend. Wie kam es zu der Idee und was verbindet Dich mit Mijk?

 

HB: Die Idee kam vom Label-Chef Mark Reeder. Über Mark würde ich sagen, dass er neben Monika Dietl ganz am Anfang die wichtigste Person war, weil er z.B. schon zu DDR-Zeiten ganz viel mit der Ostberliner Szene elektronischer Musik zu tun hatte. Und nach November 1989 hat er gleich die Möglichkeit gesehen mit der Amiga (Staatliche Plattenfirma der DDR – Anm.) zu kooperieren und ein neues Label hochzuziehen. Ich fand immer Menschen toll, die einen Plan haben und dann auch versuchen diesen Plan umzusetzen – ohne daran zu denken, ob sich das nun rechnet. Mark war ein Visionär. Für mich war es eine Initialzündung, dass jemand zu mir gesagt hat, „ich finde deine Musik super und ich geb’ Dir die Möglichkeit bei mir rauszubringen, was Du willst.“ Ein Hammerangebot. Seine Unterstützung, hat mich ermutigt, weiter zu gehen, zu experimentieren. Ohne jemanden wie Mark hätte ich mich viel stärker von dem beeinflussen lassen, was mir gerade gut gefiel, also damals z.B. das belgische R & S Label. Mark hat Mijk ausgewählt, weil er meinte, wir würden gut zusammenpassen. Mijk gehört auch zu den wunderbaren 150 Leuten. Wir wohnten nur einen Block auseinander und sind sehr ähnlich sozialisiert, politisch interessiert, kulturell aufgeschlossen. Das hat auch musikalisch gut gepasst. Mijk ist ein ganz wichtiger Weggefährte.

 

Raveline: War es auch Marks Idee, die einzelnen Tracks zu bearbeiten?

 

HB: Ja, Mark wollte ein Audio-Manifest, was wir insgesamt wollen. Eben einen Teil des Technouniversums auf den Punkt zu bringen. Weil wir Musiker sind, sollten wir diese CD auch wie Musiker zusammenstellen. Mir kam das sehr gelegen, weil ich zu dieser Zeit bereits Hörspiele verfasst habe, also gewohnt war, an etwas dramaturgisch ranzugehen.

 

Raveline: Einen wichtigen Weggefährten haben wir noch nicht erwähnt: Kid Paul mit dem zusammen Du unter dem Namen Energy 52 den Hit „Café del Mar“ produziert hast. Der Titel ist mit Abstand der erfolgreichste und bekannteste Deiner Karriere, „Café del Mar“ ist nach wie vor DER Schlüsseltrack eines ganzen Musikgenres. Magst Du noch einmal die Geschichte dieses Songs erzählen?

 

HB: Gern. Ich habe Kid Paul zum ersten Mal 1989 auf einer Acid House Party getroffen. Ich war völlig begeistert, was ein 13Jähriger da für Musik aufgelegt hat. Wir haben uns von Anfang an gut verstanden und schnell hatte unsere Beziehung etwas von zwei Einzelkindern, die sich immer einen Bruder gewünscht hatten. Er mochte nicht nur Acid, sondern hatte auch wie ich ein Faible für Melodien, wir hatten damals beide den gleichen Lieblingssong: „Chimes“ von Orbital. Mit Jonzon habe ich mich damals vielleicht alle zwei Wochen getroffen, mit Paul habe ich fast jeden Tag Musik gemacht. Er konnte Musik exzellent analysieren, mir zu jedem Detail meiner Musik erklären, warum das auf einer Tanzfläche funktioniert. Daraus wurde ein permanenter musikalischer Dialog. Wir sind natürlich auch zusammen ausgegangen und waren 1990 gemeinsam auf Ibiza, wo wir das inzwischen weltbekannte Café del Mar kennengelernt haben. Da hat ein DJ vor ca. 40 Leuten eine Mischung aus psychedelischer Rockmusik, Ambient, Klassik, spanischer Musik und Techno gespielt, die uns absolut begeistert hat. Wir hatten einen Ort gefunden, wo – anders als in Diskos wie dem Amnesia – nur sympathische Menschen waren, mit denen man auch gerne geredet hätte. Wir waren zwei Wochen lang jeden Abend da. Paul ist später immer wieder nach Ibiza gefahren, ich nie mehr, ich hatte Angst, dass mir das genommen wird, was ich da in dieser Anfangszeit gesehen hatte. 1992 kam Paul von der Insel zurück und meinte er hätte dort ein Stück gehört, das absolut genial sei. Er hat es mir auf dem Keyboard vorgespielt und ich kam dann darauf, dass es von Wim Mertens sein muss. Ein Titel vom Soundtrack des Peter Greenaway-Films „Der Bauch des Architekten“. Paul wollte daraus unbedingt etwas machen und Wim Mertens war schon damals einer meiner Lieblingskomponisten. Wir wollten auf dieser Basis nicht einfach ein gutes Stück produzieren, sondern wir schworen uns ganz pathetisch, erst aufzuhören, wenn jedes Detail absolut perfekt ist.

 

Raveline: Heißt das, man kann eigentlich sagen, dass „Café del Mar“ eine Coverversion von „Struggle For Pleasure“ ist?

 

HB: Wir wollten ein wunderbares Stück machen,  eine Hommage auf grundlegender Inspiration eines anderen Stückes, das wir aus reinster Seele bewundert haben und immer noch bewundern.

 

Raveline: Der Titel ist damals von Sven Väths Eye-Q-Label als White Label rausgebracht und dann doch wieder zurückgezogen worden. Es hat dann sehr lange gedauert, bis das Stück erhältlich war, obwohl alle DJs die White Labels gespielt haben. Woran lag das?

 

HB: In unserer Euphorie hat es uns gereicht, dass das Stück gespielt wurde. Wir konnten ja bereits von unserer Musik leben, auch wenn wir damals noch lächerliche Beträge gekriegt haben. Ich habe z.B. einmal vor rund 5.000 Menschen gespielt und 500,- Mark dafür bekommen. Da kann man sich an zwei Fingern abzählen, was manche Veranstalter damals verdient haben. Das war aber nicht wichtig. Wir konnten machen was wir wollten und davon leben, das war das Entscheidende. Dass der Deal mit Eye-Q nicht zustande kam, lag daran, dass wir uns übergangen fühlten. Wir hatten denen den Track als Demo gegeben und wir wollten darüber verhandeln, dass es irgendwann veröffentlicht wird. Und plötzlich war das White Label schon da, das hat uns nicht gepasst. Die Frankfurter haben einfach mehr über Business gewusst als wir. Ich meine, ich will mich jetzt nicht immer hinter jugendlicher Naivität verstecken…

 

Raveline: Du warst damals immerhin schon dreißig…

 

HB: Eben. Der Name Cosmic Baby sagt es eigentlich schon: ich wollte mich mit dieser Kombination aus göttlicher Strahlung und kleinem Kindchen-Schema auch wieder abschotten, nichts an mich heranlassen. Ein wirklich fataler biographischer Irrtum in meinem Leben: ich dachte aufgrund einer musikalischen Ausdrucksform eine Selbstidentität zu erreichen. Ich wollte, dass der Mensch Harald Blüchel, den ich eigentlich verweigert hab’, zum liebsten aller Menschen Cosmic Baby transzendiert.Bedenklich, aber ein weitverbreitetes Dilemma bei Künstlern: Kurt Cobain, Jim Morrison, Syd Barrett…

 

Raveline: Wofür steht „Energy 52“?

 

HB: Ganz simpel für Energie als Manifest und 52 war Pauls Hausnummer.

 

Raveline: Warum gab es nach „Café del Mar“ keine weiteren Veröffentlichungen Eurer Zusammenarbeit?

 

HB: Das lag daran, dass Paul kurz danach aus der gesamten Szene ausgestiegen ist.

 

Raveline: „Café del Mar“ war die Spitze Deines Erfolges, Du hast auf allen Major Events und Raves gespielt, teilweise vor mehr als 10.000 Menschen. Konnte da überhaupt noch etwas kommen? Konntest Du das überhaupt noch alles fassen?

 

HB: In dieser Zeit hatte ich den Traum, zu etwas zu gehören, das neu ist, größer wird und die Welt verändert. Etwas, das mir eine Identität verschafft, etwas für das ich Bestätigung bekomme. Spätestens 1993 hatte sich das alles absolut erfüllt. Ich wurde zu so etwas wie einer Leitfigur, das hat mir sehr geschmeichelt.  Immer Business Class fliegen, weltweit spielen und wenn ich wollte, konnte ich sagen, ich will eine Woche bleiben, mich umsehen und Leute kennenlernen. Alles, wovon ich geträumt hatte, hatte sich auf phantastische Art und Weise entwickelt. Ein Riesenglück! Diesen Zustand habe ich sehr lange konservieren können. Andererseits lagen Widersprüche auf der Hand. So weltfremd war ich auch wieder nicht, in Momenten der Distanz nicht wahrzunehmen, dass ich nicht nur ein Produkt meiner Selbst, sondern immer auch ein Produkt der Märkte, Medien und Slogans war. Ich habe aber sehr lange erfolgreich geschafft, diese Gedanken wegzudrücken, um weiter an diesem „schöne-Welt“-Zustand festhalten zu können. Irgendwann war ein Punkt erreicht, an dem die Kluft zwischen Wunsch/Illusion und Wirklichkeit zu groß wurde, beziehungsweise sich die – eingebildete- Souveränität als Abhängigkeit herausstellte: ich brauchte die fortwährende Resonanz, das Geschrei, das Bestätigtwerden. Immer wenn ich mal eine Pause gemacht habe, fehlte mir etwas. Ich brauchte dieses Etwas, das mich davon abgelenkt hat, zu sehen, was denn überhaupt sonst in mir steckt, diese verdeckte, ungeliebte Persönlichkeit des Harald Blüchel. Jahrelang hatte ich nicht mal auf meinen Vornamen gehört, alle hatten mich mit Cosmic angesprochen. Irgendwann hat sich da etwas verändern müssen, alles spitzte sich auf einen Konflikt zu, den ich mit mir selber austragen musste.

 

Raveline: Würdest Du zustimmen, dass Du bis Mitte der Neunziger ein bisschen ein naiver Träumer warst?

 

HB: Ja, ich war immer beides: ein Skeptiker, ein Außenseiter und Träumer, aber gleichzeitig auch einer, der die anderen faszinieren und mitreißen konnte. Ich wollte Lebensglück durch die Perfektion des naiven Träumers erleben, weil ich nicht glaubte, dass ich es als ein ganz normaler Mensch aushalten würde.

 

Raveline: Da kommen wir wieder zum Motiv des Eskapismus. Du hast schon 1996 gesagt: „Ich schuf mir eine Zuckerbäckerwelt aus romantischen Harmonien.“ Schöne heile Welt?

 

HB: Ja, die Uridee Cosmic Baby ist die schöne heile Welt.

 

Raveline: Du hast vorhin schon mal die Diskrepanzen zwischen Schein und Sein, zwischen Innen- und Außenwahrnehmung, zwischen dem Eigenem und dem Fremden angerissen. Wenn man diese Diskrepanzen füttert, führt das in Konsequenz zur Schizophrenie. Wie hast Du es geschafft, dass sich zwei parallele Stränge nicht auseinander entwickelt haben, sondern Schnittmengen bekommen haben? Und kann man das direkt in Verbindung bringen mit der Abkehr von der Technoszene?

 

HB: Die Abkehr von der Technoszene ist der unterbewusste Wunsch diese Schizophrenie aufzulösen. Ich habe diesen schizophrenen Zustand versucht solange durchzuhalten, bis es nicht mehr ging, bis ich die Tatsache nicht mehr länger erfolgreich verdrängen  konnte, nicht fähig zu sein über längere Zeit tiefergehende menschliche Beziehungen zu führen. Man wünscht sich, ein normaler Mensch zu sein, blöd sein zu können, scheiße auszusehen und dummes Zeug zu reden oder Fehler zu machen und gleichzeitig hat man den Wahn, darauf zu beharren, etwas ganz Großartiges zu sein. Daraus resultiert dann eine Unfähigkeit, sich fallen zu lassen und ehrlich gegenüber sich und anderen zu sein. Wenn man das erkennt, dann muss man etwas sehr radikal ändern.

 

Raveline: Heißt das, dass die Diskrepanz zwischen Künstler und Kunstfigur soweit geht, dass es Dein Privatleben sehr stark beeinflusst hat?

 

HB: Natürlich. Wobei ich das eben lange nicht wahrhaben wollte.

 

Raveline: Wenn man Deine Biographie liest, sieht diese Wende in der zweiten Hälfte der Neunziger weg von elektronischer Popmusik hin zu experimentellerer Musik und z.B. der Gründung eines eigenen Labels nach dem Wunsch aus, künstlerische und materielle Unabhängigkeit zu erlangen. In unserem Gespräch hat es jetzt eher den Anschein, als wäre diese Wende notwendig gewesen, um psychisch nicht vor die Hunde zu gehen.

 

HB: Genau, so ist es auch. Da ich immer noch sehr von der Kunstfigur fixiert war, musste ich natürlich diese Schritte auch über die künstlerische Identität einleiten.

 

Raveline: Das heißt z.B. unter Deinem bürgerlichen Namen eine Platte zu veröffentlichen.

 

HB: Richtig.

 

Raveline: Du hast dann 1997 erstmals Theatermusik gemacht (zu Max Frischs „Andorra“), Filmmusik komponiert und wieder Hörspiele produziert. War das ein Dualismus, dass Du einerseits künstlerisch ganz andere Sachen gemacht hast und andererseits diesen eingeschlagenen Weg, endlich zu sich selber zu finden, massiv vorantreiben konntest?. War also die künstlerische Weiterentwicklung auch – überspitzt formuliert – Selbstheilung?

 

HB: Es gab neue Herausforderungen, die ganz prima dazu passten, einen anderen Weg einzuschlagen und trotzdem Bestätigung zu kriegen. In Theatermusik kann ich mich ganz phantastisch ausdrücken, es bietet ganz neue Möglichkeiten Musik zu machen. Ich kann mich inspirieren lassen, weil ich eben nicht mehr allein, sondern mit 30 Leuten arbeite.

 

Raveline: Du hast 2001 diverse Veröffentlichungen von Tonträgern angekündigt, die dann aber kommentarlos zurückgenommen. War das schon die „Zauberberg“-Trilogie?

 

HB: Ja. Auch.

 

Raveline: Warum wieder zurückgenommen?

 

HB: Weil ich mich  letztlich noch immer in der gleichen Falle befand: möglichst schnell mit etwas Neuem und Perfekten  „zurück“ zu kommen. Es bestand immer noch ein innerer Zwang etwas „zeigen“ zu wollen. Erst als ich alle Verlustängste über Bord geworfen hatte und anfing, mir die Zeit zu nehmen, an meinem Selbstverständnis sowohl als normaler Mensch, als auch als Künstler zu arbeiten, meine Position in der Welt und das System, in dem ich mich befinde zu analysieren und daraus Konsequenzen zu ziehen, konnte ich Schritt für Schritt eine neue persönliche Grundlage aufbauen. Dies hat letztlich sieben Jahre in Anspruch genommen. Jetzt ist erst soweit, dass ich mit der „Zauberberg“-Trilogie, die Arbeit  der Zeit von 1999 bis 2005 präsentieren und danach entspannt in der Gegenwart ankommen kann. Von dieser Basis aus kann ich als Komponist auch in die Zukunft gehen.

 

Raveline: Heißt das, dass es ab 2007 denkbar wäre, dass wieder aktuelle Musik von Dir erscheint?

 

HB: Ja genau. Auch der dritte Teil der Trilogie ist bereits fertig. „Toteninsel“ ist ja gerade im Herbst rausgekommen, „Caged“ erscheint jetzt im März und fünf Monate später folgt dann der dritte Teil mit dem Titel „electric chamber music“.

 

Raveline: Du hast gerade auch die jüngste Cosmic-Baby-Platte veröffentlicht, die zwischen 1997 und 1999 entstanden ist. Wird es zukünftig auch weitere Cosmic Baby-Platten geben oder war das die letzte unter diesem Namen?

 

HB: Eine Zeit lang sah es so aus, dass ich gar nicht mehr als Cosmic Baby veröffentlichen wollte. Gleichzeitig habe ich aber immer auch eine Art von elektronischer Popmusik gemacht – und wenn es nur zwischendurch zur Entspannung war. Mittlerweile kann ich für mich sagen, habe ich nicht mehr dieses zwanghafte Über-Ich, ich muss nicht mehr Cosmic Baby gerecht werden. Es ist nicht mehr mein Leben, Cosmic Baby zu sein. Ich kann das jetzt als Ausdrucksform sehen, eine unter vielen.

 

Raveline: Wirst Du das fortan so splitten, dass Cosmic Baby zuständig ist für elektronische Popmusik und Harald Blüchel macht Theater- und Filmmusik und Hörstücke?

 

HB: Ist doch eine ganz brauchbare Definition. Ich kann mir durchaus vorstellen, irgendwann eine Sammlung von Popstücken über einen längeren Zeitraum zu haben, die dann eine neue Cosmic Baby-Platte sein könnte. Aber eben aus einer ganz anderen Motivation heraus als das in den Neunzigern passierte. Es hätte dann nichts mehr mit einer Notwendigkeit zu tun.

 

Raveline: „Industrie und Melodie“ ist gerade erschienen. Die Platte greift Dein Electro-Faible auf, was auf einigen Platten von Dir von ’95/’96 bereits durchblitzt. Verglichen mit Deinen Frühwerken ist zwar noch ein Roter Faden erkennbar, aber es hat stilistisch nicht mehr viel damit zu tun. Vielmehr scheint „Industrie und Melodie“ eine Kraftwerk-Hommage zu sein.

 

HB: Ja, schon. Rückblickend betrachtet ist das Album eine Fortführung von „14 Pieces“. Und sozusagen eine Detailsuche von „Heaven“, dem offiziell letztem Cosmic-Baby-Album von 1998. Damals wollte ich die Quadratur des Kreises erreichen, nämlich eine populäre, chartstaugliche Platte zu machen, die gleichzeitig gänzlich anders ist als chartstaugliche Platten sein sollen. Sie sollte alles abdecken, wofür ich mich musikalisch interessiere. Sie sollte zeigen, dass ich Techno-Pionier bin und gleichzeitig aber mit Techno nichts mehr zu tun haben will. Ich wollte es Leuten zeigen, denen ich es schon immer zeigen wollte, gleichzeitig wollte ich mich von diesen Leuten lösen. Also eine totale Überforderung, ein Quatsch, ein unmögliches Konzept.

 

Raveline: Laut Deiner Linernotes, siehst Du das Konzept als gescheitert an…

 

HB: Ja, war es auch. Das war mir schon damals klar

 

Raveline: Du hast viel schlechte Kritik dafür bekommen…

 

HB: Meist aus falschen Motiven heraus und dennoch nicht zu unrecht.

 

Raveline: Ich vermute, es hat Dich trotzdem getroffen, weil es Dein bis dahin ambitioniertestes Projekt war.

 

HB: Schon, aber ich habe gewusst, dass es nur ambitioniert war und genau an dieser Superambitioniertheit gescheitert ist. Der Punkt war, ich hatte mir überlegt, wie Cosmic Baby weitergehen könnte, nach Trance sozusagen. Eine Möglichkeit war, Neubetrachtung und Rückbesinnung auf meine gymnasialen Idole: das sind eben Kraftwerk und Tangerine Dream. Und – nicht so bekannt, aber genuso wichtig: Leute wie Roedelius, Moebius, Cluster, Thomas Dinger und La Düsseldorf, Der Plan, DAF. Das alles hat mich sehr geprägt. Daran habe ich gedacht, als ich mir zuhause einen Arbeitsplatz eingerichtet habe, wo nur diese alten Geräte standen, also nur Instrumente aus den siebziger Jahren. Immer wenn ich hier gearbeitet habe, hatte ich viel Spaß, deswegen sind die Stücke so wunderbar zwanglos entstanden. Und trotzdem habe ich mich parallel dazu gezwungen immer wieder an „Heaven“ zu arbeiten.

 

Raveline: Die beiden Platten sind sehr unterschiedlich, schwer vorzustellen, dass sie parallel entstanden sind. Hast Du damals „Industrie und Melodie“ nicht veröffentlicht, weil Du fürchtetest, dass es den hohen Anspruch, den Du mit „Heaven“ verfolgt hattest, nicht gerecht würde?

 

HB: Genau. Es war das Paradoxon, in einer Phase zu stecken, wo ich Leichtigkeit, also eigentlich etwas,  das man sich wünscht, als Wertlosigkeit wahrgenommen habe. Und harte Arbeit an etwas Unerreichbaren war die Herausforderung. Es war wie sich selbst zu bestrafen. Plötzlich hatte nur noch das einen Wert, wofür man am meisten Zeit aufgewendet hatte.

 

Raveline: So brauchte es also Jahre, bis Du auch zu einer Electropop-Platte wie „Industrie und Melodie“ stehen konntest. Glücklicherweise ist das Album sehr zeitlos, vielleicht durch die Kraftwerk-Bezüge, die sich ja von Covergestaltung bis in die Linernotes ziehen. Fällt gar nicht so auf, dass das Album schon rund acht Jahre alt ist…

 

HB: Danke, das ist das Schönste, was ich darüber hören könnte. So geht es mir auch damit. Schön, das von jemand anderem zu hören.

 

Raveline: Glaubst Du, dass für Menschen, die sich für elektronische Tanzmusik interessieren, die jetzt vielleicht so Anfang zwanzig sind und demzufolge wahrscheinlich größtenteils Deine alten Werke nicht kennen, das Album ein Tor zur Welt von Cosmic Baby sein könnte? Also dazu geeignet ist, Deine Musik retrospektiv zu entdecken?

 

HB: Weiß ich nicht. Das ist ja auch nicht der Ansatz, warum ich die Platte rausbringe.

 

Raveline: Werden die Fäden, die Du Anfang der Neunziger aufgenommen hast, hier nicht noch hörbar weitergesponnen? Sodass ein direkter Bezug da ist?

 

HB: Ja, ich glaube schon, dass wenn man das genau untersucht, erkennen kann, was ich elektronisch immer wollte. Es gibt z.B. Komponenten, die kommen sowohl da vor, als auch auf „Stellar Supreme“, wenn auch mit anderen Vorzeichen. Aber das Interessante ist eigentlich, dass die Platte so klingt, wie ich gerne 1980 klingen hätte wollen, wenn ich damals schon die Instrumente gehabt hätte. Nehmen wir mal an, ich wäre damals ein paar Jahre älter gewesen und hätte in Düsseldorf gewohnt, dann hätte es ja durchaus sein können, dass ich bei DAF mitspiele oder so. Oder der Keyboarder von Fehlfarben werde. Diese Art von Musik, die ich da zelebriere, damals noch nicht entstehen konnte, weil ich zu jung war, aber ich hab eben diese Musik gehört. Und aus dieser Musik wurde dann später Techno.

 

Raveline: Könntest Du Dir vorstellen, jetzt, also sieben bis acht Jahre später, da musikalisch anzuschließen? In Sachen Erfüllung musikalischer Jugendträume weiterzumachen?

 

HB: Ja, auf jeden Fall. Meine Begegnung mit Christopher von Deylen (vom Projekt Schiller – Anm.) hat mich überhaupt wieder in die Lage versetzt, dazu zu kommen, unverkrampft auch mal wieder elektronische Popmusik zu machen. Da Christopher auch ein großer TD-Fan ist wollen wir irgendwann eine TD-Platte zusammen machen, die Tangerine Dream leider nicht mehr machen können…

 

Raveline: Warst Du beim TD-Konzert kürzlich?

 

HB: Ja, schlimm. Das ist so, wie Kommunist zu sein und dann zu sehen, dass die Partei nach zehn Jahren nicht mehr die ist, die man eigentlich haben möchte. TD hat für mich weiterhin in der Konstellation der siebziger und achtziger Jahre etwas ganz Großartiges. Alles was danach kam, habe ich immer wieder versucht mir mit gutem Willen anzuhören, aber es hat mir nicht gefallen.

 

Raveline: Würdest Du zustimmen, wenn man sagt, dass Deine Kooperationen mit Christopher von Deylen in der Mitte stehen zwischen den Werken von Harald Blüchel und Cosmic Baby?

 

HB: Ich würde eher sagen zwischen Schiller und Cosmic Baby. Da machen zwei Privatpersonen etwas anderes als ihre Projekte und sind doch in der gleichen Welt angesiedelt. Der Ansatz war ja aber nicht eine Schnittmenge zu erzeugen, sondern dass wir beide unseren gemeinsamen Leidenschaften frönen. Etwas zu machen, das wir beide sonst allein nie zustande kriegen würden.

 

Raveline: Wenn man sich Deine Biographie anschaut, hast Du immer viele Projekt gleichzeitig verfolgt. Mir scheint es so, als hätte es zwischen 1999 und 2004 ein Loch gegeben. Da hast Du zwar auch hier und da etwas gemacht, aber trotzdem sieht es so aus, als hätte Dich etwas anderes absorbiert oder eben als hätte es da ein künstlerisches Loch gegeben. Täuscht das?

 

HB: Das kommt darauf an, wie man Loch definiert. Wenn man Loch als Misserfolg sieht, als Phase, in der man nichts zu sagen hat, dann ist es falsch. Wenn man Loch als Auf-der-Suche-sein definiert, als Entscheidung, dies in Ruhe zu tun und sich keinem Druck von außen auszusetzen, dann ist Loch richtig. Ein Loch ist doch etwas, in das man reingucken kann, aber das dunkel ist und von dem man nicht weiß, wo es endet und wo es anfängt und was darin passiert, wann man da runter gehen würde. So macht das Wort Loch absolut Sinn, weil ich definitiv nicht wusste, wo es hingeht. Ich wusste nur, es ist gut, in dieses Loch reinzugehen. Weil da etwas drinsteckt, was mich womöglich an einer anderen Stelle wieder rauskommen lässt.

 

Raveline: War das auch die zurückgezogendste Phase Deines künstlerischen Lebens? Kann man  jetzt, wo diese Phase vorbei zu sein scheint, sagen, dass das auch ein kathartisches Freistrampeln von alten Schwierigkeiten war?

 

HB: Ganz klar, Herr Therapeut. Das stimmt wohl. Man darf aber auch nicht vergessen, dass ich zum Erscheinen von „Stellar Supreme“ schon zwanzig Jahre Zeit hatte im Kopf zu komponieren. Manche Leute staunen darüber, dass in zwei bis drei Jahren bei einem Künstler ganz viel kommt und dann plötzlich ganz wenig oder gar nichts mehr. Mittlerweile habe ich diesen Prozess an mir selber erfahren. Kraftwerk ist das beste Beispiel dafür – ich will mich jetzt nicht mit denen auf eine Stufe stellen – aber die haben ja auch fünfzehn Jahre gebraucht, um wieder ein Stück rauszubringen. Ich kann inzwischen gut verstehen, wie so etwas passieren kann. Ich kann auch nachvollziehen, dass Künstler, die mit einer Sache sehr erfolgreich geworden sind, dann ihr Publikum enttäuscht haben, wenn sie dann etwas ganz anderes gemacht haben. Das habe ich als Publikum auch Künstlern vorgeworfen.

 

Raveline: Du hast in einem Interview gesagt, dass das Gros der Technoproduzenten menschlich und auch künstlerisch stehen geblieben sei. Zudem hast Du gesagt, dass die Technoszene etwa 2001 am „Gipfelpunkt einer künstlerisch beschämenden Armseligkeit“ gewesen sei. Daraus folge, dass in der Massenkonfektion irgendwann das gesamte Genre fragwürdig werde, weil „ihre Flut die wenigen guten Beispiele natürlich mit wegspült.“

 

HB: Ja, stimmt.

 

Raveline: Das klingt danach, als gäbe es zumindest einige aktuelle Veröffentlichungen, die Du schätzt. Aber da schwingt auch mit, dass Du der Meinung bist, dass das Kind namens Techno in den Brunnen gefallen ist und dort auch nicht wieder rauskrabbeln wird.

 

HB: Solche Aussprüche zeigen, dass ich mich offenbar noch aufregen kann und noch interessiert verfolge, was mit Techno passiert. Wenn ich jetzt mit Dir für das Forum Raveline spreche, heißt das eben, dass ich mich doch noch da drin sehe. Ich möchte durch eine Polarisierung eine Diskussion anregen. Dafür nehme ich mittlerweile auch gern in Kauf, dass man mich dafür gut kritisieren kann. So: ‚Der hat ja gut reden, damals war es ja schön einfach und so neu war das ja auch nicht, was der gemacht hat.’ – Alles richtig. Es war nicht früher alles besser. Der wichtige Punkt für mich ist, Musik bzw. genauer „unsere“ elektronische Musik nicht so wertfrei im Raum stehen zu lassen. Die Sachen, die ich da gesagt habe, muss man auch im Kontext sehen, nämlich dass das nicht nur in der Musik so ist, sondern dass das ein Phänomen ist, was sich auf alle Bereiche unseres Lebens, unserer Gesellschaft, unseres Systems anwenden lässt. Auch wenn man sich wie ich künstlerisch vor allem über die Musik definiert, sieht man sich mit sehr starken politischen Faktor in der Welt konfrontiert. Und dieser löst sich meiner Meinung nach „von Oben“ gewollt immer stärker in wohlgefälligem Schweigen auf. Die Diskussion, die ich anregen möchte, hat viel damit zu tun, dass ich Musik und die Dinge, die mich gesellschaftlich angehen, miteinander verlinken möchte.

 

Raveline: Was ist denn aber, wenn junge Musikproduzenten, die heute gerade erfolgreich sind, Dir entgegnen: „Hey, als Du in unserem Alter warst, hast Du Dich auch einen Scheißdreck um so etwas gekümmert. Warum sollen wir das jetzt tun?“ Ist das nicht ein Merkmal von erwachsenen Menschen, mehr über den Tellerrand zu gucken als viele junge Leute?

 

HB: Das siehst Du vollkommen richtig. Trotzdem. Erstens habe ich damals trotz aller Naivität schon etwas mehr darüber gesagt als „Ich will eine gute Party haben.“ Zweitens finde ich es vollkommen legitim, wenn man sagt, „mach Du Deine Sache und ich mach’ meine. Und sei nicht besserwisserischer als Du selber warst in diesem Stadium.“ Aber: auch die Raveline lesen ja nicht nur Zwanzigjährige, sondern auch Menschen in unserem Alter und die kann ich ja sehr wohl ansprechen. Es gibt zudem sicher genug Zwanzigjährige, die das sehr wohl (gut) verstehen könnten. Natürlich lebten wir 1989 im gleichen System, erlebten ähnliche Kriege, eine ähnliche Propaganda. Und trotzdem hat sich die Sache noch weiter verschärft. Ein Zwanzigjähriger heute wird um einiges stärker über Politik nachdenken müssen als wir das tun mussten. Der Kapitalismus war weder global alleinbestimmend, noch konnte er sich damals so barbarisch unmaskiert zeigen, wie er es heute tut.

 

Raveline: Aber hatten nicht alle jungen Menschen immer schon das Gefühl, es wäre noch nie so schlimm gewesen wie in ihrer Zeit? Nimm dir die sechziger Jahre mit dem Vietnamkrieg und den Studentenbewegungen oder denk zurück an die Achtziger, als man Angst vor SDI hatte und das explodierte Tschernobyl Weltuntergangsstimmung zur Folge hatte.

 

HB: Na klar ist für jede Generation ihre eigene Zeit die schlechteste aller Zeiten. Und immer bedeutet es eine Herausforderung Informationen über diese Welt zu bekommen und sich in ihr einzurichten – wie auch immer man das tut.

 

Raveline: Informationen kriegt man heute einfacher als z.B. in den siebziger Jahren. Andererseits sagt man immer, es sei ein Privileg der Jugend, sich unverstanden zu fühlen, sich gegen die herrschenden Systeme und Staatsregierungen aufzulehnen oder sich zumindest nicht einverstanden zu erklären mit aktueller Politik. Aber gerade jetzt wo junge Menschen viel mehr Möglichkeiten der Informationsbeschaffung haben, scheint es so, als würde das viel weniger genutzt bzw. viel weniger Konsequenzen daraus gezogen.

 

HB: Ich seh das ganz anders. Ich glaube nicht, dass diese Möglichkeiten bestehen. Diese scheinbar grenzenlose und freie Informationen erzeugen eher die Illusion von Informiertheit. (…) Unsere Medien erscheinen mir heute wie die DDR-Medien damals, nur dass sie vorgeblich freier und scheinbar vielseitiger sind. Im Prinzip ist das noch perfider durch Halbwahrheiten, durch Weglassen, durch Gossip, durch Comedy, durch Events „powered by“ davon abzulenken, dass es bei uns ständige Diskurse gibt, die nur innerhalb der Spielregeln des Systems stattfinden, aber in keinster Weise dieses System von außen kritisieren oder angreifen.

 

Raveline: Weitergedacht, kommt man so zu einem Rückblick zur Zeit der Aufklärung, wo Leute, die versucht haben, Menschen zu wesentlich mündigeren Wesen zu machen letztendlich daran gescheitert sind, dass viele Menschen das gar nicht unbedingt wollen?

 

HB: Das ist ein Sekundärdiskurs. Man sagt ja, es gäbe Menschen, die Initiative zeigen, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Und andere, die unbedingt beherrscht werden wollen. Der Primärdiskurs, wäre aber, dass es historisch gesehen immer eine kleine Schicht von Menschen gab, die Kapital und Produktionsmittel hatten und eine große Anzahl von Menschen, die das nicht hatten und um überleben zu können, ihre Arbeitskraft verkaufen mussten. Diese Struktur hat sich bis heute weiter perfektioniert. In der Demokratie heute sah es auch schon mal besser aus: in den siebziger Jahren war das ja sehr sozialdemokratisch, es gab soziale Marktwirtschaft, es gab Vollbeschäftigung, es gab Aufstiegschancen. Inzwischen sagt das System, ähnlich wie zur Zeit der industriellen Revolution: „gottgegeben, es gibt fleißige und weniger fleißige Menschen, ein Naturgesetz, dass die Menschen miteinander in Konkurrenz treten.“ Wir haben vorhin festgestellt, dass jede Gesellschaft immer sagt, sie lebe in der schlechtesten Zeit, so sagt jedes herrschende System von sich: „nie ging es uns besser als heute.“ Es gibt immer eine Schicht von Leuten die anderen suggeriert, dass sie freiwillig das tun, was sie tun sollen. Wenn jemand sagt, ich möchte eigentlich gar nicht selbst entscheiden, dann wage ich zu behaupten, dass es daran liegt, weil dieser Mensch nie eine Motivation bekommen hat, etwas selbständig zu entscheiden. Eine Motivation bedarf immer einem Angebot, einer Bildung, einer Ermutigung.

 

Raveline: Du hast in den Linernotes vom zweiten Teil der Zauberberg-Trilogie ein düsteres Bild unserer heutigen Gesellschaft, vor allem von den Möglichkeiten des einzelnen gezeichnet. Hast Du Utopien oder Ideen, wie man dort ausbrechen kann?

 

HB: Wir leben seit Generationen mit der Lebenslüge, dass wenn die Steuern für den Unternehmer sinken, es mehr Arbeit gibt. Dabei hat Karl Marx schon um 1848 aufgezeigt, dass dem nicht so sein wird. Dieses System haben wir immer weiter entwickelt, wir haben uns von diesem System einkaufen lassen. Ich habe kein düsteres Bild gezeichnet, sondern einen realistischen Blick vermittelt, wie es eben aussieht.

 

Raveline: Kleiner Einwurf: Ist es nicht zynisch so zu reden, obwohl man über Jahre lang von diesem kapitalistischen System profitiert hat und sich Träume erfüllen konnte, die man sich außerhalb dieses Systems nicht hätte erfüllen können?

 

HB: Total reaktionäres Argument. Das hat man schon Brecht vorgeworfen, als er mit der Dreigroschenoper reich geworden ist. Das ist dieser bürgerlich-liberale-„einverstandene“  feuilletonistische Abwehrkampf, den wir die ganze Zeit erleben. Wenn sich jemand anmaßt, etwas radikalkritisch auf den Punkt zu bringen, dann kriegt er zu hören, er sei ein Gutmensch, ein Weltverbesserer, ein Populist, ein Rhetoriker. Oder er kriegt zu hören, ‚sei doch mal ganz ruhig, du hast doch hier am allermeisten davon profitiert.’ Oder: ‚seitdem du keinen Erfolg mehr hast, machst du wieder den Mund auf.’ Man kann mir auch vorwerfen, ich würde eine wunderbare Werbestrategie fahren: der kritische Harald Blüchel. So kann man natürlich jede Art von Kritik gegen die Wand fahren lassen.

 

Raveline: Nochmal zurück zur Utopie: was können junge Menschen denn besser machen innerhalb der Missstände, in denen sie leben?

 

HB: Wie wäre es denn, wenn alle diese ad acta gelegten Menschen, die angeblich nicht mehr gebraucht werden, sich anstatt sich einzeln Drogen oder dem Fernsehen o.ä. hinzugeben, also im Stillen unsichtbar sind, wenn die alle auf die Straße gehen und sich einmal die Woche treffen, z.B. auf dem Ku’Damm, vorm KaDeWe und einfach rumstehen.

 

Raveline: So etwas gibt es doch in Internetforen…

 

HB: Ja, aber ganz unsichtbar. Da sitzt jeder allein vor seinem Computer. Wenn die sich alle sehen, wäre das etwas ganz anderes. Stell Dir vor, die kommen immer wieder und das wird immer größer. Sie würden die wunderbare Konsumwelt durch ihre bloße Existenz stören. Dann würde irgendetwas passieren.

 

Raveline: Nochmal zurück zur „Zauberberg“-Trilogie: die beiden bereits erschienenen Teile sind ziemlich anders, als alles was Du zuvor gemacht hast. „Toteninsel“, der erste Teil ist inspiriert von einer gleichnamigen, fünfteiligen Gemälde-Serie von Arnold Böcklin (bedeutender Schweizer Maler – Anm.), die Ende des 19. Jahrhunderts entstanden ist. Du verwendest Textpassagen, die aus den Ausschwitzprozessen stammen und webst sie in relativ harmonische Ambientklänge. Hätten diese Texte nicht besser zum wesentlich düstereren und lärmigeren zweiten Teil gepasst?

 

HB: Zum einen wollte ich nicht Klischees bedienen und dieses Thema musikalisch umsetzen, wie man es vielleicht erwartet. Zum anderen ist der erste Teil eben der erste Versuch, mich dem Thema überhaupt zu nähern. Wenn Du jetzt das Gefühl hast, der zweite Teil kommt dem schon näher, dann ist das doch genau das was ich erhofft habe, nämlich dass ich mit einer Trilogie einem Sujet näher komme. Der erste Teil klingt teilweise noch so, als könnte man das auch auf einem Cosmic Baby Album finden. Zwischen 1999 und 2001 war mein erstes Ziel, eine Bestandsaufnahme zu machen. Was sind die Möglichkeiten, die ich schon hab’ und wo kann ich neu ansetzen, um zu einer Sprache zu kommen, die das, was ich erzählen will, auch wirklich zu erzählen vermag. Im zweiten Teil ist das schon besser gelungen.

 

Raveline: Auch wenn der Begriff „Zauberberg“ schon in mittelalterlichen Geschichten auftaucht, denkt man unwillkürlich an den gleichnamigen Roman von Thomas Mann. War sein „Zauberberg“ direkte Inspirationsquelle?

 

HB: Ja, meine Trilogie bezieht sich sehr stark darauf. Es gibt drei Aspekte, die ich besonders herausstellen würde. Erstens: Thomas Mann hat mal in seiner abgehobenen, großbürgerlichen Art zur Kunst gesagt: Kunst sei solange dilettantisch, wie sie nur die eigenen Befindlichkeiten widerspiegele. Für ihn ist Kunst dann sinnvoll oder interessant, wenn sie sich wirklich objektiviert. Was im übertragenen Sinne nichts anderes heißt, als dass man Anstöße aus seinem eigenen Leben bekommt – weil man sonst nichts zu erzählen hat – aber dann versucht, das in einen größeren Zusammenhang zu kriegen. Die Cosmic Baby-Vergangenheit war eher befindliche, einfache Aussage von Zuständen. ‚Ich bin traurig, ich bin melancholisch, ich bin glücklich, ich will, dass wir alle Brüder sind’. Ich wollte dahin gelangen, abstrakter damit umzugehen. Zweitens: Im „Zauberberg“ schafft Thomas Mann es, ein riesiges Kaleidoskop an Diskursen, gesellschaftlichen Widersprüchen, persönlichen Hoffnungen, Wünschen, Befindlichkeiten, die ineinander korrellieren. Und nicht von vornherein zu sagen, ‚ich seh’ das so und deswegen schreib’ ich das so’, sondern er hat versucht, die verschiedenen Arten wie man die Welt sehen kann in einem Roman darzustellen. Drittens: Grundsätzlich das Bild des Zauberbergs, wie es die Patienten im Roman erlebt haben: Außenseiter, die von oben auf eine funktionierende Welt runtergucken, die womöglich gar nicht so gut funktioniert. Je weiter man sich entfernt von diesem In-der-Welt-Sein, kriegt man einen Abstand, zu dem was da unten passiert, der sowohl Kritik als auch Entfremdung bedeuten kann.

Mir ging es darum, die Füße auf die Welt zu bekommen, etwas aushalten zu können, Widersprüche nicht zu lösen versuchen, indem man einen Teil verdrängt und den anderen Teil idealisiert, sondern versucht diese Widersprüche zu leben und dadurch als Persönlichkeit frei zu werden. Auf diesen Punkten steht die „Zauberberg“-Trilogie.

 

Raveline: Ein großer Unterschied zwischen den beiden bereits erschienenen Teilen scheint mir die Abkehr vom elektronischen Instrumentarium, die auf dem zweiten Teil erstmals zum Tragen kommt. Du hast alles akustisch eingespielt und dann am Rechner bearbeitet und neu zusammengesetzt. Ist das ein Bogen zu Deiner Jugend, ist „Caged“ eigentlich das, was Du schon als Teenager machen wolltest?

 

HB: Groteskerweise ja, es gibt von mir Jugendwerke. Das eine davon heißt „Zeitlos“ und ist eine 50minütige Collage aus Klavier, ein paar Orffschen Klanginstrumenten und einem Radio nebst zwei Tape-Decks. Das Radio war damals mein Synthesizer-Ersatz. Das habe ich mit ungefähr 17 gemacht. Darüber habe ich nicht mehr nachgedacht, als ich „Caged“ aufgenommen habe, aber wenn man die beiden Stücken nebeneinander hörte, könnte man feststellen, dass sie kompositorisch und klanglich auf verschiedenenen Niveaus liegen, aber durchaus von dem selben Komponisten stammen könnten. Das ist auf eine Art erschreckend, aber auch auf eine andere Art interessant. Es ist viel passiert in der Zwischenzeit; ich kann mich inzwischen klarer ausdrücken, aber die Handschrift ist ähnlich. Ich war kürzlich auf einem Abi-Treffen, meinem ersten. Außer den Mitschülern waren auch einige Lehrer dabei und einer meinte zu mir – und Lehrer können das ja ganz gut beurteilen – ich wäre eigentlich der gleiche geblieben. Er meinte das nicht im Sinne von „nichts dazugelernt“, sondern dass einiges, was einen Menschen ausmacht sich über Jahrzehnte nicht verändert.

 

Raveline: Mich hat „Caged“ an Industrial Music der späten Siebziger erinnert, an Bands wie Throbbing Gristle, S.P.K. oder Cabaret Voltaire. Du hattest vorhin erwähnt, dass Du auch solche Musik in Deiner Jugend gehört hast. Zudem klingt es trotz der Instrumentierung nach elektronischer Musik. Hattest Du das Gefühl, dass wenn Du lauter akustische Instrumente aufnimmst und dann bearbeitest, Du mehr Möglichkeiten hast, als wenn Du eine weitere Platte mit elektronischen Instrumenten produziert hättest?

 

HB: Ja, sicher. Z.B. weil der Saxophonist einfach unglaublich ist, dessen Parts habe ich kaum bearbeitet, der kann Ideen von mir auf eine wunderbare Art umsetzen. Ich bin mit den Mikros ganz nah an ihn rangegangen, um auch den Körper zu hören, der da spielt. Ein Aspekt, der bei elektronischer Musik nicht vorkommt.

 

Raveline: Und war es wichtig, mit anderen Musikern zusammenzuarbeiten?

 

HB: Auf jeden Fall. Das war ein großer Schritt für mich zu sagen, ich will hier nicht mehr allein im Studio sitzen, sondern ich will etwas mit anderen zusammen machen. Das hat viel mit der Theatermusik zu tun, da war ich zwar allein Musiker, fand es aber sehr inspirierend, mit anderen eng zusammenzuarbeiten. Ich wollte außerdem einiges lernen, was man mit welchem Instrument alles machen kann und wo Grenzen sind. Ich könnte „Caged“ auch live mit akustischen Instrumenten aufführen.

 

Raveline: War für „Caged“ auch wieder Wim Mertens Inspirationsquelle? Auf seinem großen Minimalwerk „Alle Dinghe“ (ja, mit ‚h’ – Anm.) hat er in bemerkenswerter Weise ausgelotet, was man alles für Töne aus wenigen akustischen Instrumenten holen kann.

 

HB: Unbedingt. Wobei Wim Mertens wiederum  klar inspiriert ist von John Cage, der neue Kompositionstechniken erfunden hat. Der Titel „Caged“ ist ein Wortspiel, der einerseits auf John Cage als Inspirator verweist, andererseits das Gefangensein eines Individuums thematisiert. An Mertens schätze ich, dass er mit teilweise nur einem Instrument und ganz wenig Tonspuren vermag ganz viel auszusagen und Wirkung zu erzeugen.

 

Raveline: Wir darf man sich denn den dritten Teil des „Zauberbergs“, den Du schon fertig hast, vorstellen? Wird er auch wieder akustisch sein?

 

HB: Nein, der dritte Teil heißt „Electric Chamber Music“ und vereint eine Vielzahl von kurzen Songs, die in der Spanne von 1999 bis 2005 entstanden sind. Kleine Einheiten, die auch versuchen einem Thema gerecht zu werden. Wie der Name „Chamber Music“ schon sagt, alles mit sehr minimalen Strukturen, immer nur mit zwei bis drei Instrumenten pro Stück.

 

Raveline: Du hast mal gesagt, dass Kunst in Abgrenzung zu einem Kunstprodukt soviel Raum aufbaut, dass eine Mikrowelt entstehen kann. Kannst Du das nochmal erklären, vielleicht definieren, was für Dich Kunst zu Kunst macht?

 

HB: Gehen wir mal von dem kritischen Ansatz aus, dass heute das Meiste, das als Kunst präsentiert wird, ein Kunstprodukt ist. Das würde ich so begründen, dass heute der Markt diktiert, wie Kunst auszusehen hat und weniger, was ein Künstler leisten möchte aus seiner eigenen Mikrowelt heraus. Jeder Künstler möchte von seiner Kunst leben und beachtet werden, also öffentlich werden. Auch wenn hier und heute kein Künstler behaupten kann, er müsse Zensur fürchten, so wird sein Schaffen doch sehr stark an seinem Erfolg gemessen. Mich interessiert an Kunstwerken anderer Menschen, das was mich nicht sofort bestätigt, was nicht das ist, was ich hören oder sehen will. Ich versuche mich auf etwas einzulassen und das kann dazu führen, dass ich die Welt wieder ein kleines bisschen mit neuen Augen sehen kann. Das passiert natürlich nur, wenn etwas neues kommt und nicht wenn ich das krieg’, was ich eh schon gut finde. Diesen Wunsch von mir können nur Leute einlösen, die sich sehr wahrscheinlich einen Dreck darum kümmern, ob das jetzt gefragt ist oder nicht. Das heißt, dass jemand, das was er erzählen will, nicht als Produkt anbietet, sondern als persönliche Mikrowelt, die die Möglichkeit hat, mir Inspiration für mein eigenes Leben zu geben. Es geht also nicht um die Spiegelung einer Person in einem Werk, sondern es muss etwas passieren, was etwas abstrakter ist. Ich glaube auch, dass ein Künstler, der in dieser Zeit einen Mikrokosmos zur Verfügung stellt, Farbe bekennen muss. Er muss genau wissen, was er will und was nicht. Und welche Konsequenzen er bereit ist zu ertragen.

 

Raveline: Gibt es Musik aus den letzten ein, zwei Jahren, die Dich begeistert?

 

HB: Klar, ich finde z.B. Röyksopp und vor allem Air phantastisch. Die letzte Platte, die ich mir gekauft habe, ist das Album von Trentemøller. Das macht mir viel Freude, da kriege ich richtig Lust wieder elektronische Musik zu machen. Oder das letzte Werk von Peter Licht, da leuchten meine Augen. Und Jeans Team! Super! Trotzdem sehe ich meine künstlerische Gegenwart und Zukunft weniger in der populären, als in der zeitgenössischen Klassischen Musik.

 

Raveline: Du hast als Cosmic Baby damals ein ganzes Genre mitbegründet. Auch nach Deiner Abkehr hat Trance weiterexistiert, gerade in den letzten Jahren scheint es ein Wiedererstarken der Szenen zu geben. Verfolgst Du das noch?

 

HB: Nein, eigentlich nicht mehr… Quatsch, so stimmt es nicht ! Es ist so: ich freue mich weiterhin wie ein Schneekönig über grossartige neue elektronische (Pop-)Musik !  An der Tatsache, dass ich neue Werke meiner Weg- und Zeitgenossen a la Peter Kuhlmann, The Modernist, Aphex Twin  oder Future Sound of London immer noch sofort hören will, weiß ich ganz genau – wie auch beim Gegenteil, wenn ich mich für mittelmässigen oder schlechten Techno schäme, den ich zufällig höre – das es mir immer noch sehr viel bedeutet. Elektronische Musik und Techno sind Teil meiner Lebensgeschichte. Ein echter Kommunist wird vielleicht aus der Partei austreten oder herausgeschmissen werden, aber er wird sich immer für die Weltrevolution einsetzen J

 

 

Interview: Hauke Schlichting

Fotos: Leif-Henrik Osthoff